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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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kettet Regy an die Ulme da vorn. Die wird er bis morgen früh vermutlich nicht ausreißen. Und sagt uns, was wir tun müssen.«
    »Ah. Ich darf also nicht mit unters Dach, nein?«, erkundigte sich Regy beleidigt.
    »Damit du uns alle im Schlaf abschlachten kannst?«, gab Simon zurück. »Schwerlich.«
    Sie machten sich an die Arbeit. Dank Losians scharfem Dolch und der Geschicklichkeit der drei Angelsachsen ging es schneller als erwartet, und das Ergebnis war verblüffend. Sie flochten eine annähernd viereckige Zweigmatte von vielleicht drei mal drei Schritten Größe, legten ein Ende auf der dem Wind abgewandten Seite des Dickichts auf die Haselsträucher, das andere auf den waagerechten Ast einer nahen Buche und hatten so tatsächlich ein Dach über den Köpfen.
    »Können wir Feuer machen?«, fragte Luke hoffnungsvoll.
    Losian dachte einen Moment nach, dann nickte er. »Ich glaube kaum, dass der königliche Forstaufseher bei diesem Wetter unterwegs ist, um sicherzugehen, dass Gesindel wie wir hier kein Holz sammelt.«
    Simon und die Zwillinge zogen aus, um genau das zu tun. Der junge Normanne wandte sich nach Osten, suchte den Waldboden mit den Augen nach brauchbaren Ästen ab und hegte insgeheim Zweifel, dass irgendeiner von ihnen in der Lage war, auf schlammigem Grund und mit tropfnassem Holz ein Feuer in Gang zu bringen. Aber man konnte nie wissen. King Edmund hatte ein Talent für diese schwierige und langwierige Kunst. Eine schon beinah unheimliche Gabe, wenn man so darüber nachdachte. Und das brachte Simon zu der Frage, ob …
    Die Frage wurde aus seinen Gedanken gescheucht, als sein nach unten gerichteter Blick auf ein junges Wildschwein fiel. Es lag auf der Seite und rührte sich nicht mehr. Das Blut, das in Strömen aus der Pfeilwunde am Hals geflossen war, ehe das Tier starb, hatte eine kleine, dampfende Pfütze gebildet. Kein Zweifel, die junge Sau war gerade erst geschossen worden, und der Jäger, der zweifellos ein Wilderer war, musste noch ganz in der Nähe sein.
    Simons Füße bewegten sich bereits, und seine Muskeln hatten sich angespannt, um kehrtzumachen und zu rennen, aber es war zu spät. Eine Hand packte ihn von hinten am Schopf, und im nächsten Moment spürte er eine eiskalte Stahlklinge an der Kehle.
    Das Holz fiel Simon aus den Armen. »Von mir hast du nichts zu befürchten, Freund«, sagte er auf Englisch. Er war zufrieden mit sich: Seine Stimme klang beschwichtigend. Die Todesangst, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ, war ihm nicht anzuhören.
    »Sprecht Ihr auch eine Sprache, die ein zivilisierter Christenmensch verstehen könnte?«, bekam er auf Französisch zur Antwort. Eine junge Stimme, und sie klang barsch.
    Ja, lautete die Antwort natürlich, aber für einen Herzschlag war Simon sprachlos. Nicht genug, dass dieser Wilderer kein Angelsachse war − gehörte doch zu den Vorurteilen, die die Normannen immer noch über ihre englischen Nachbarn hegten, auch jenes, dass sie im Grunde alle Wilderer seien −, sondern er war Franzose. Kein Normanne. Franzose. »Das tue ich in der Tat«, erwiderte Simon so herablassend, wie er konnte. »Die Frage ist indes, wieso ich dem Mann, der mich feige von hinten niedermachen will, diese Höflichkeit erweisen sollte.«
    Die Klinge verschwand, und Simon bekam einen unsanften Stoß zwischen die Schultern. Doch er fiel nicht. Hastig fuhr er herum, die Rechte am Heft, und fand sich Auge in Auge mit einem jungen Edelmann in feinen, aber schmutzigen Gewändern, die hier und da ein paar Risse aufwiesen, wie man sie sich im Wald zuzog, wenn man mit der Kleidung an Zweigen hängen blieb. Der Fremde hielt ein Schwert in der Hand, und seine Haltung verriet, dass er verstand, es zu führen. So wie seine breiten Schultern verrieten, dass er sich gern und oft in dieser Kunst übte. Sein dichter, zerzauster Schopf war blond oder möglicherweise auch rot, wenn er nicht gerade tropfnass war, und seine Augen waren so blau wie der Himmel an einem klaren Tag im Mai an der See.
    »Es war keineswegs meine Absicht, Euch niederzumachen«, erklärte er nachdrücklich. »Aber in der Fremde kann man nicht vorsichtig genug sein. Ich hörte, in diesem Land verfahre man erbarmungslos mit Wilderern, und für einen Wilderer hättet Ihr mich halten können, Monseigneur.« Er schien einen Augenblick mit sich zu ringen, dann verbeugte er sich knapp. »Ich bitte um Vergebung, sollte ich Euch erschreckt haben.«
    Es kommt nicht oft vor, dass er jemanden um Vergebung bittet,

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