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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Arm mit einem wütenden Ruck. »Ich habe keine Angst vor diesem Teufel!«
    »Das sehe ich. Aber Ihr wollt nicht ernsthaft einen Mann erschlagen, der an einen Baum gefesselt ist, oder?«
    Der Zorn legte sich so schnell, wie er entflammt war. »Nein«, bekannte Henry nach einem kurzen Zögern. »Natürlich nicht.«
    »Dann kommt. Seht Ihr, meine Freunde haben ein Feuer in Gang gebracht. Also lasst uns König Stephens Wildsau braten, was meint Ihr?«
    Henry ging mit ihm zu den anderen zurück, warf ihm unterwegs aber einen argwöhnischen Seitenblick zu. »Macht Ihr Euch über mich lustig? Ich kann nichts dafür, dass ich bin, wer ich bin.«
    Losian nickte.
    »Ihr glaubt mir nicht, richtig?« Henry seufzte ungeduldig und blieb stehen. »Ich kann Euch kaum einen Vorwurf machen. Zerlumpt und allein und ohne Pferd, wie ich hier durch die Gegend irre.«
    Der junge Mann hatte recht; Losian glaubte ihm kein Wort. Es war einfach zu fantastisch, dass ausgerechnet er und seine Gefährten im Wald von East Anglia auf den verirrten Sohn der Frau gestoßen sein sollten, die Anspruch auf Englands Thron erhob. Aber was spielte das für eine Rolle? Seit beinah drei Jahren lebte Losian in der Gesellschaft eines Mannes, der sich für einen toten Märtyrerkönig hielt, aber dennoch ein guter Mensch war. Er selbst hielt sich weder für heilig noch für den Sohn einer Kaiserin, weil seine Identität ihm schlichtweg entfallen war, und trotzdem funktionierten sein Verstand, sein Gewissen und all diese Dinge, die man Verrückten und Besessenen für gewöhnlich absprach. »Mir ist völlig gleich, wer Ihr seid, Henry«, stellte er klar.
    »Das glaub ich aufs Wort. Ich sehe, dass Ihr genug eigene Sorgen habt. Wohin zieht Ihr?«
    »Ich habe keine Ahnung.« Diskret wies er auf King Edmund, der dabei war, einen Ast anzuspitzen, auf den er die Sau spießen wollte. »Er führt uns. Aber ich bin nicht sicher, ob er weiß, wohin.«
    Sie gingen weiter, und als sie zu ihrer unzureichenden Behausung zurückkehrten, fragte Luke: »Was ist in Regy gefahren? So hab ich ihn noch nie lachen hören.«
    »Er wollte nicht glauben, dass unser Freund hier der Mann ist, für den er sich ausgibt«, erklärte Losian und legte mit Hand an, um das Gestell zu bauen, auf dem sie den Spieß drehen wollten.
    »Wieso?«, fragte King Edmund. »Wer behauptet er denn zu sein?«
    »Der Sohn der Kaiserin Maud. Gib mir meinen Dolch zurück, Luke. Das ist kein Beil, verstehst du, du machst ihn ganz stumpf.«
    Luke reagierte nicht. Losian sah irritiert auf und stellte fest, dass alle Henry Plantagenet anstierten.
    Schließlich räusperte sich King Edmund, schenkte dem Gast ein nervöses kleines Lächeln und sagte auf Englisch: »Nun, wer immer du sein magst, mein Sohn, du passt auf jeden Fall hervorragend in diese Gemeinschaft.«
    In der Nacht wurde es bitterkalt, und die zahllosen Pfützen auf dem Waldboden überzogen sich mit einer dünnen Eisschicht. Losian, der schlaflos am Feuer gesessen hatte, weckte seine Gefährten vor Tagesanbruch, denn er fürchtete, sie könnten im Schlaf erfrieren. Der Wind wurde immer schneidender, und noch ehe sie ihr freudloses Frühstück aus nass geregnetem Wildschweinfleisch vertilgt hatten, wurde ihr Dach davongeweht.
    »Wir sollten aufbrechen«, riet King Edmund mit klappernden Zähnen. »Im Gehen wird uns wärmer.«
    Losian nickte, obwohl er insgeheim dachte, dass sie sich alle den Tod holen würden, wenn sie den ganzen Tag in nassen Kleidern durch diese Kälte liefen.
    Als es hell wurde, erreichten sie das Ufer des Yare. Wie King Edmund versprochen hatte, führte der Pfad zu einer Furt, doch der Regen hatte den Fluss anschwellen lassen, sodass die Wanderer bis zur Hüfte durchs eisige Wasser waten mussten. Als Oswald sah, wie tief die Zwillinge und Regy in den Fluten versanken, wich er furchtsam zurück, verschränkte die Arme und schüttelte untypisch störrisch Kopf. »Da geh ich nicht durch.«
    »Oh doch. Das wirst du«, entgegnete Losian grimmig. »Denn das ist unser Weg.«
    »Aber ich kann nicht.«
    »Das habe ich schon so oft von dir gehört, Oswald. Du kannst mehr, als du dir zutraust, glaub mir.«
    Oswalds Augen waren groß und voller Furcht. »Jeremy …«, flüsterte er und starrte auf den tosenden Fluss. »Jeremy …«
    Losian brauchte einen Moment, ehe er begriff, was der Junge meinte und was ihn mit solchem Entsetzen erfüllte: Das gurgelnde, kalte Wasser erinnerte Oswald an die Nacht der Sturmflut auf der Insel. Die Nacht, da Jeremy

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