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Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Titel: Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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gedemütigt, er schrie und haderte, und niemand achtete auf ihn. Und natürlich bekommen selbst Gespenster irgendwann Hunger und Muskelkater und leiden an Übermüdung, das war ein besonderer Service von Wiedenfließ Timetravels Incorporated.
    Noch zusätzlich ärgerte ihn, dass er mit anhören musste, wie stiernackige Beamte das entsetzliche Mordgeschehen von Hinterkaifeck irgendwelchen irgendwo in der Nähe aufgefallenen Zigeunern in die ausgefransten Schuhe schoben. Irgendwie lag der brandige Geruch der Nürnberger Rassengesetze bereits in der Luft. Erklärungen kamen unheimlich schnell.
    Am Ende des achten zermürbenden Tages als zeitfremder Spuk hatte Hiob das Dreieck fertig. Es war nicht tief und deutlich genug, um wirklich vertrauenserweckend zu sein, aber er war jetzt zu müde, zu ausgelaugt und ausgebrannt, um sich auf nur noch eine einzige weitere Minute im Weimarer Bayern einzulassen.
    Den blutigen kleinen Finger der linken Hand in der rechten Achselhöhle geborgen, schlüpfte er hindurch und bereute.
    Siebzig Jahre tunnelten chronologisch gestapelt in ihn hinein, dehnten und verformten ihn, kneteten ihn und leierten ihn aus, bis er sich als über neunzigjähriger Greis kriechend auf einer harschen Landstraße wiederfand, wo er, zitternd auf ein urschreihaftes Röhren reagierend, sabbernd den Blick hob und durch den Kühlergrill eines hunderttonnigen Flutlichtlasters moulinettiert wurde. Er wurde eins mit dem ölschwitzenden Guernica der Wirbelkammer, erinnerte sich für den kurzen Augenblick des Zündverzugs an ein Feuerwerk, dass ihm als kleinem Jungen an der Hand seiner lachenden Mutter große Angst bereitet hatte, und atmete während der Explosion 900 Grad heißen Diesels. Kurt Cobain legt, kalten Schweiß auf der Oberlippe, die Nasenwurzel gegen die Mündung der Flinte und UND nUND UND nUNDuUNd erhält vom lächelnden Papst, dessen Schenkel gebrochen sind, den kirchlichen Segen.
    »Je ne suis pas prisonnier de ma raison«, rezitiert er neuerlich seinen alten Leidensgefährten Rimbaud, als er im milden Sommer der Gegenwart auf einem wulstig gefurchten Feld erwacht. Die Anordnung der Bäume noch immer fast dieselbe, der Hof der Diffringers jedoch steht schon lange nicht mehr.
    Sein neuer alter Mantel ist nun viel zu warm, doch trägt er ihn mit Stolz.
    Beschließt zu fliegen.
    Trampt durch nach München, stiehlt dort etwas Geld aus einem Buchgeschäft am Kaufinger Tor.
    Raumflughafen Erdinger Moos: Wieder gibt es Probleme mit dem Metalldetektor. In einem mit schwarzer Folie verhängten Raum muss er sich ganz ausziehen, und immer noch piept das Ding. Herzschrittmacher asiatischen Fabrikats, sagt er, und hofft, dass sie nicht röntgen. Sie lassen’s, kann ja schlecht ’ne Waffe sein.
    Berlin, kaum drei Tage nach seiner Abreise, nur er selbst elf Tage gealtert, Bart schon recht lang, meldet er sich kurz zurück bei Kamber. Trinken eine Cola in der Drama Golden Lounge, Kamber – staunend – erfährt als Einziger die ganze Geschichte, da verlässlicher, bewährter Dichthalter.
    Am nächsten Tag bricht Hiob wieder auf. Eine Rothaarige nimmt ihn per Anhalter mit nach Norden, hundert Kilometer nur, dorthin, wo die Wege in alle Himmelsrichtungen nach Röbel führen.

d) Lady und Gentleman: Die Schiedsrichter
    Sie wohnte in einem dieser Häuser, deren Erdgeschoss nach hinten raus eine Anlegestelle für ein Ruderboot war. Mit zaghafter Handkante strich Wind über den stahlfarbenen See und kräuselte die Oberfläche nur ein wenig, wie Gänsehaut. Die Schilfufer raschelten wispernd, in einiger Entfernung stelzte vorsichtig ein Reiher im seichten Bereich.
    Das Haus war von einem herben Braun, der Farbe getrockneten Blutes in Webstoff. Kein Namensschild, keine Klingel. Hiob klopfte. Nach fast einer Minute öffnete sie knirschend die Tür.
    Sie war erschreckend fett, zwar nicht ganz so wie Gilbert Grapes Mutter, aber wogend genug mit fast kürbisgroßen Brüsten. Ihr Gesicht war rau, faustig, aufgeworfen, mit typisch aufwärts gestülpter Trinkernase, das halblange graubraune Haar hing glatt und fettig herum, und sie roch aufdringlich nach alten Kartoffeln. Der Geruch wurde noch penetranter, als sie den Mund öffnete, um »Ja?« zu raspeln, und Hiob war sich wirklich nicht sicher, ob sie ein Mensch war oder nicht.
    »Eidry Gevicius? Die Beisitzerin?«
    Ihre kleinen Augen, in brackiger Sauce hollandaise treibend, musterten ihn eingehend. Dann furzte sie flatternd und grummelte: »Und du bist dieser Montagjunge,

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