Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
erlegen.«
»Das ist ... wirklich sehr ... interessant.«
»Natürlich ist der eine Jäger, den der Löwe angegriffen hat, hinterher tot.«
»So.«
»Ja. Keiner der Jäger kann vorher wissen, wen von ihnen es diesmal erwischt, aber jeder von ihnen weiß, dass einer es sein wird, und jeder von ihnen kann es sein. Das ist eben der Preis, den man dafür bezahlt, einen Löwen zu jagen. Genau diese mögliche Tödlichkeit und völlige Unberechenbarkeit ist auch der Preis für denjenigen, der es wagt, mit dem Wiedenfließ zu spielen. Du spielst eben nicht gegen Kasparow Schach. Du dribbelst auch nicht mit Thomas Häßler um die Wette. Du trittst nicht einmal alleine gegen die gesamte Mannschaft der Miami Dolphins an. Du ringst mit dem Erzenen Engel, du bist Israel, Doktor Faust, John Dee, die Hure Kleopatra, der Faun Waclaw Nijinsky, Inspector Fred Abberline, der apokryphe Exorzist Tobias, Sigmund Freud, die Heroingeliebte Nico, der Renegat Simon Girty, Antonin Artaud, J. Robert Oppenheimer, der gesungene Diomedes vor Troja, Maya Deren, Abdul Alhazred, Georg Elser, die androgyne Jeanne D’Arc vor und während der Folter, Fletcher Christian, Jakob Michael Reinhold Lenz, Robert Johnson, Ambrose Bierce, der fastende Mohandas Karamchand Gandhi, Nikola Tesla und Tijlbert Uilenspiegel, der Sohn des Kohlenträgers Klaas.«
»Oh, yeeeaahhh!«
»Und du bist auch« – sie rülpste schleimig – »ein retardierter Emporkömmling, der wie all jene sein will, es in Wirklichkeit aber nicht einmal wert ist, dem ewigen Potentaten des wyden Gefliesses , dessen brennenden Namen du andauernd im Munde rührst, als sei es ein Kub Zucker, die Füße vom Staub zu entsalben.«
Hiob räusperte sich. Er konnte deutlich spüren, wie sein Haaransatz an der Stirn feucht wurde. Die Beisitzerin schnellte sich schwabbelnd in eine stehende Position und ging, sich in Wut redend, auf und ab. »Ich habe nicht das Geringste übrig für jemanden, der grinsend vorgibt zu wissen, was er tut, und dann angesichts der tatsächlichen Überforderung auch noch die Dreistigkeit besitzt, andere Instanzen in seine persönliche Verantwortlichkeit mit hineinziehen zu wollen. Ich kann mir auch überhaupt nicht erlauben, für so jemanden etwas übrig zu haben, weil sie alle so sind, alle, die sich seit Anbeginn der Zeiten auf dieses Spiel eingelassen haben. Und wenn ich dir etwas verraten soll – der Meister fängt auch langsam schon an, mir derart auf die Nerven zu gehen.«
»NuNdUuN?«
»Natürlich der. Er war hier, gestern, um sich bei mir darüber zu beschweren, dass du ihn gezwungen hast, seine eigene Manifestation zu egalisieren. Er versuchte, mir anhand der Regeln vorzurechnen, dass das nicht noch einmal vorkommen darf. Aber alles, was ich ihm antworten konnte, war, dass er diesmal offensichtlich an einen Spieler geraten ist, der die Regeln schneller begriffen hat als die anderen Mitbewerber vor ihm. Die Regeln besagen nämlich schlicht und einfach nichts anderes, als dass es keine Regeln gibt, und es ist meine einzige Aufgabe als unabhängige Beisitzerin, darüber zu wachen, dass diese Regeln nicht gebrochen werden.«
»Das ist paradoxer Bullsh. Entschuldigen Sie bitte.«
»Da gibt es nichts zu entschuldigen, du hast ganz recht, mein Junge. Der Meister und du – weißt du, wie ihr mir vorkommt? Wie zwei kleine Zwillingsbrüder, die sich die kleinen Fäuste mit Mullbinden umwickeln und aufeinander eindreschen, weil sie im Fernsehen einen Rocky-Film gesehen haben und es unheimlich toll fanden, wie die Großen dort geboxt haben. Aber nun kriegt einer von ihnen vom andern eins auf die Nase, und der andere eine gegen’s Kinn, und schon laufen sie beide heulend zu Mami und beschweren sich darüber, dass der andere so fest zugeschlagen hat. Dass du so reagierst, kann ich sogar halbwegs nachvollziehen, denn du bist noch ein Grünling, aber dem Meister habe ich gestern ganz ordentlich meine Meinung gesagt.«
Hiobs berühmtes Grinsen war zurückgekehrt und richtete sich in seinem Gesicht dauerhaft ein. »Das heißt also, ich könnte wieder eine Manifestation gegen ihn ausspielen?«
»Es gibt kein Gesetz dagegen, Junge. Und es gibt auch kein Gesetz dagegen, dass der Meister versucht, dich auf jede erdenkliche Art und Weise zum Aufgeben oder zum Sterben zu zwingen. Theoretisch hast du dasselbe Recht, praktisch natürlich nicht die Möglichkeiten, aber das ist eben der Nachteil deiner Spielposition. Du bist sozusagen der Akteur, und der Meister ist der Regisseur.
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