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Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Titel: Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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durch eine Feuerwehrtür ein. Es wurde ein wirklich bizarrer Trip. Ein bisschen zu viel für Dirk-Daniel, aber die anderen waren begeistert.
    Allein der Geruch in den Korridoren. Eine unbeschreibliche Melange aus vielfältigen Pasten und Kühlflüssigkeiten und krustig gegrilltem Eiter. Die Geräusche. Zahnfleischlose Münder ohne Lippen und ohne Zunge, die versuchten zu sprechen und ihr Leid auszudrücken. Geschmolzene Stimmbänder, die aufgrund irgendwelcher Fehlleitungen bei jedem Atemzug summten und schnarrten wie Cellosaiten aus Bast. Und die Anblicke. Jesus Christus im Himmel – die Anblicke. Das war das Tollste daran.
    Wesen wie aus einem Albtraum von Screaming Mad George, hier lagen sie atmend in Betten und starrten entweder aus großen, von allem umgebenden Fleisch und Lidern bereinigten Augäpfeln oder aus ausgedampften, fleischvertropften Höhlen den huschenden Besuchern entgegen. Hier drinnen begegnete das Rudel einer ganz neuen Definition von Leben. Es bedurfte einer gewissen Eingewöhnungszeit, um zu akzeptieren, dass das Ding dort, das überhaupt kein Gesicht mehr hatte und dessen gesamter Unterleib eine Art Lache von wächserner Konsistenz war, tatsächlich am Leben war, aber es zuckte, es reagierte auf Stiche mit einem Plastikkugelschreiber, es röhrte leise und versuchte mit von rohen Sehnen zusammengehaltenen Knochenärmchen, die Störenfriede zu vertreiben. Es war wie ein Spiel mit einer Art E.T. Auch die Kinder waren faszinierend, Fragmente von Autounfällen oder mit Spiritus entzündeten Sommergrillpartys oder unabgeschalteter Herdplatten. Einige von ihnen waren knorrig wie Holz, andere wiederum wassergefüllt und prall glänzend wie aus Gummi. Bei einem pulte Arne fasziniert borkige Hautfetzen von Münzgröße ab, und das Kind reagierte überhaupt nicht.
    Was dem Rudel wirklich Schwierigkeiten bereitete, war, die Vielzahl der einstürmenden Gefühlsregungen in eine anwendbare Form von sexueller Geilheit umzulenken. Sicher war es möglich, einfach aufgrund der Andersartigkeit und des Horrorkitzels, hier drinnen erregt zu werden, aber wenn man weinende Entstellte sah, die mit einem Spiegel in der Hand ihre täglich vorgeschriebenen fünf Grundmimiken übten, um später einmal mit Hilfe von plastischer Chirurgie und Gesichtsprothesen in die Gesellschaft wiedereingliederbar zu werden, fiel einem urtümliche Lüsternheit verdammt schwer. Sonja versuchte es trotzdem, zweimal, und beide Male schlugen fehl. Zuerst hockte sie sich untenrum nackt über einen Mann, dessen obere Gesichtshälfte nicht nur noch intakt, sondern aufgrund der Augen sogar attraktiv war, dessen Kiefergegend jedoch nur noch aus einem Loch im Hals bestand, das Guido leicht zuhalten konnte. Sie fingerte mit der Rechten in der blasigen Lendengegend des Mannes herum und musste enttäuscht aufgeben, als sie feststellte, dass da nichts mehr war. Beim zweiten Mal brach der Penis eines Totalverbrannten in ihr ab wie ein morscher Zweig, und sie musste so lachen, dass kein Mitglied des Rudels sich mehr richtig konzentrieren konnte. Mehrere Bedienstete wurden auf die Heiterkeit aufmerksam, und so verdrückte sich das Rudel wieder nach Berlin.
    Etwas hatte sich verändert.
    Nicht in Berlin, sondern in ihnen.
    Obwohl ihnen das in Köln-Merheim nicht aufgefallen war, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt gewesen waren, oberflächliche Gänsehaut und überkratzte Albernheit zu kultivieren, hatte die Begegnung mit den Napalm-Aliens etwas Tiefgreifendes mit ihnen angestellt. Etwas hatte sich verändert, fehlte.
    Bernadette fiel auf, dass auf der ganzen Welt niemand Chantal vermisste. Auch wenn Chantal garantiert nicht ihr richtiger Name gewesen war, gab es auch keinerlei Vermisstenmeldungen im Blätterwald, die zu Chantals Körper passten. Sie war nur ein Pickel auf der bundesdeutschen Außenhaut gewesen, den das Rudel ausgedrückt hatte, und irgendein namenloser Schlepper und Zuhälter war jetzt wahrscheinlich sogar froh, dass er eine quäkende, essende Sorge weniger am Hals hatte. Das war schade. Bernadette bedauerte das Ausbleiben von Schmerz und Tränen da draußen. Etwas fehlte einfach.
    Die Erkenntnis, was es war, überfiel Bernadette eines Nachmittags wie ein zerlumpter mittelalterlicher Bettler mit blitzendem Langmesser. Es war der Überbau, die Philosophie, der Weg, der fehlte. Sie waren bisher nur planlos vorgegangen, hatten gejagt und gewildert, wie ein Rudel jagte und wilderte, hatten gefickt und gekratzt und waren neuen Reizen

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