Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
entdeckten sie Ambient, und die meditativen Elemente, die zum Chill Out gedacht waren, wurden Soundtrack zum Exzess. Parallel dazu wurden Arnes Beziehungen zur fetischistischen Undergroundszene von Nutzen. Pornovideos von zunehmend unterthekigem und illegalem Inhalt, leider meistens unscharfer und verwackelter Echtzeit-Snuff aus Thailand und Brasilien, den neuen Vorgärten des Kannibalismus, und delikate Kinder- und Babyvergewaltigungen aus dem Ruhrgebiet, unfreiwillig komisch, wenn die Akteure ihre Lust artikulierten. Es entstanden einige veralbert-kichernde Strangulationschoreographien, es gab ein echtes hochgepitchtes Messerduell zwischen Arne und Guido, bei dem der asthenische Schreiber von dem athletischen Handwerker vor der lachenden Sonja gedemütigt wurde; ein Wochenende mit sämtlichen Folgen der Gesichter des Todes -Serie wurde zu einer spaßigen Nachspiel- und Imitationsshow unter Bernadettes eiserner Regie. Arne hatte einen lallenden Geistesblitz, als er verlauten ließ, dass AIDS nichts anderes bedeutet als »Aggressiv Intestinale Dildo-Strafe«, und daraufhin jeder begierig war, diese herrliche Form von AIDS zu bekommen. Sie sprachen dann nicht mehr, schrien, grunzten und stöhnten nur noch, die Rückkehr in einen wie auch immer gearteten Alltag wurde immer schwieriger, schließlich unmöglich. Dirk-Daniel verlor seinen Job, als er beim Gesprächstermin mit einer attraktiven Fünfundvierzigjährigen extreme Fragen über ihr koitales Verhalten in den Katalog mit einflocht. Sonja und Guido entwickelten Mechanismen der Adaptation. Die Veränderungen begannen. Keine Überblend- oder Morphingtechniken, auch nicht Rick Bakers maskenbildnerische Kunstfertigkeit hätten die Nuancen zu erfassen vermocht. Dies war kein beliebiger Horror, dies waren Folgerichtigkeiten. Der Winter zwischen ’93 und ’94, jenes seltsam laue Niemandsland aus weder Zeit und keiner Richtung fräste die ersten wirklich roten Tropfen ins schmutzige Weiß.
Allen war klar, dass eine Veränderung erfolgen musste.
Alle Räume/Innenräume waren bis in den letzten Winkel erforscht, man prallte nägelkreischend gegen verschlossene Türen, die Junkie Doodle Dandies schrien nach Schlüsseln, nach Steigerung. Mehr.
Abgestandenheit durchmarmorte zittrige Turkeys, man dachte nach. Die besessen zu Sonja entbrannte Liebe Arnes und Dirk-Daniels wurde zum kommunikativen Problem. Bernadette schlidderte pirouettierend ins Abseits, und kalt lächelnd fing Guido sie ab, er, den sie niemals wirklich für voll genommen hatte, entpuppte sich zur wunderbaren Schmetterlingsbestie. Er formulierte den Bestand: Alle Kombinationen der Fünfeinigkeit waren durchliebt. Er formulierte den Weg: Andere mussten mithineingezogen werden in den sekretierten Kreis. Andere. Menschen oder Tiere.
Man machte eine Exkursion. Nach Westfalen, zu einem Gestüt, von dem man wusste, dass einer der Pferdepfleger solvente Kundschaft in die Deckscheune ließ. Man schaute den Pferden beim Ficken zu, Bernadette wurde vor Gier fast schlecht. Aber dann passierte das Merkwürdige. Die Gelegenheit war da, Dirk-Daniel bezahlte, was es kostete, wenn sich eine Frau von einem Hengst decken lassen wollte, und Bernadette kniff. Sie fürchtete sich, weniger vor dem abstrakt langen Organ, als vielmehr vor dem Tier selbst. Sie hatte das deutliche, beängstigende Gefühl, die atavistische Grazie des Hengstes nicht ertragen zu können. Sonja war schließlich bereit dazu, zog sich aus, streichelte den aufgeputschten Hengst, aber Dirk-Daniel riss sie zurück, schlug sie, während Guido fasziniert zusah. Das erste Verbot war ausgesprochen, die erste unverrückbare Grenze errichtet. Keiner von ihnen wollte es mit Tieren tun. Blieben andere Menschen. Aber würde das nicht auch immer nur auf dasselbe hinauslaufen? Auf dieselben gelben und braunen und weißen Ergüsse, dasselbe fleischige Winden, selbst wenn man andere Hautfarben nahm?
Die Videos hatten nach ihrer anfänglichen Stimulation auch eine gravierende Ernüchterung zur Folge: Nichts war mehr wirklich neu, wirklich exotisch. Bei einem Mailordervertrieb in Kansas konnte man Cassetten bestellen, auf denen Fotomodelle es mit Stieren und Schweinen trieben, zum Teil sogar, während diese Tiere geschlachtet wurden, wirklich, in allen Details. Wenn ein tragfähiger Markt dafür da war, wenn es so etwas schon zu kaufen gab – wie konnte es dann weit draußen sein? Nicht nur für Dirk-Daniel gab es mittlerweile nichts Ekelerregenderes mehr als Dinge, die
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