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Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Titel: Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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im eigentlichen Sinne von »klug«, denn dieses hübsche bürgerliche Ding würde man bestimmt vermissen. Dementsprechend gespalten war dann auch die Reaktion der Rudelgefährten – Bernadette und Guido waren begeistert von diesem fleischigen Fehdehandschuh im Gesicht der Stadt, Dirk-Daniel und Sonja waren eher besorgt und zitterten. Arne gab ihnen zur Abreaktion die Reste des Mädchens zum Spielen, noch gute dreißig Kilo Fleisch und Knochen. Guido konnte sich aus den Oberschenkelknochen zwei rituelle Dolche schleifen, Bernadette bekam Herz und Hirn, Dirk-Daniel die Scheiße, und Sonja machte sich einen Spaß daraus, dem Mädchen das Gesicht abzupulen. Somit wurde es dann doch noch fast so schön wie mit Chantal. Es war nicht mehr ganz dieselbe Atmosphäre von Zuneigung und Tabubruch da, aber es war immer noch toll und faszinierend, was man mit einem ganzen Körper, der einem gehörte, so alles anfangen konnte.
    Als kein Blut mehr da war, wurde dieses Mädchen schnell entsorgt – viel schneller also als Chantal damals –, und das Rudel kam in drei Dingen überein. Erstens würde diese Wohnung hier aufgegeben werden müssen. Es war für Vampire sowieso unstatthaft, sesshaft zu sein. Zweitens würde man jetzt weitermorden, um mehr und mehr trinken zu können. Und drittens sollte das nächste Opfer nun endlich mal ein Mann sein.
    Etwas Seltsames passierte jetzt, nachdem Arne wie eine Vorhut durch die letzten Reste von Berechnung und Selbsterhaltung durchgebrochen war und hinter dem silhouettenförmigen Loch in der Mauer ein neues Licht zum Strahlen gebracht hatte. Es war, als ob sie mit dem Fleisch der Schülerin den Inhalt eines Grals zu sich genommen hatten, etwas weitaus Edleres als nur Mensch, was vielleicht daran lag, dass dies hier keine Verlorene gewesen war, sondern ein adrettes, sauberes Mädchen, das eines Tages vielleicht Medizin studiert und der Welt ein Mittel gegen Krebs gebracht hätte. Jedenfalls war etwas geschehen, das an Heiligkeit grenzte, ein neues Land war betreten worden, ein neuer Wald hinter den anderen, und jedem einzelnen Mitglied des Rudels verging in diesen Tagen die sexuelle Lust.
    Bernadette sah diesen Wandel weniger verklärt, sie war ja jetzt Rudelmutter und konnte sich keine Träumereien mehr erlauben: Es war lediglich, als wäre Sex nun nicht mehr erwachsen genug. Jeder fickte schließlich, selbst die hässlichsten, farblosesten und feigsten Spießer taten’s – wie also konnte das jetzt noch, selbst in extremster, bizarrster Form, von Reiz sein? Es passte auch so herrlich zum Vampirkult, keusch zu sein. Die einzige Form des sensuellen Höhepunktes war nun der Kuss und die dicken, widerspenstigen Schlucke danach. Es war ein Gefühl für die Ewigkeit, hinter dem sie jetzt her waren. Sie wurden bleich, fahl, weil blutarm, wurden schweigsamer, langsamer in ihren Bewegungen, bedächtiger. Aber nur unter sich. Nicht auf der Jagd. Nicht draußen.
    Sie zogen jetzt, sich heimatlich nicht festlegend, zwischen von Hausbesetzern aufgegebenen Abbruchhäusern in Tiergarten, ruhenden Baustellen im östlichen und südlichen Umland und vergessenen Kellergewölben unter Schöneberger und Weddinger Gewerbehöfen hin und her. Arne und Sonja experimentierten doch mit etwas ausgefalleneren Variationen von sogenannter Schwarzer Magie herum, um echte Dämonen und Vampire zu beschwören und einen echten Kuss zu erlangen, aber außer ein paar Ratten, einer Horde von gewalttätigen, regressiven Pattex-Junkies und wenigen verwilderten Hunden lockten sie nichts aus dem Dunkel hervor, das der Rede wert gewesen wäre. Bernadette kümmerte sich weiterhin um den kulturellen Überbau, schaffte ein paar Poster und Drucke heran, die dem Vampirismus gewidmet waren, tat noch ein paar Bücher auf, die sich trotz des unsäglichen Heyne-Booms ernsthaft und faszinierend damit auseinandersetzten – darunter Davide Teghs berüchtigte und verdammt schwer zu bekommende Nuits plus sombre que Noir und Le Tourniquet – und dozierte den anderen die Blutseele Berlins. Dirk-Daniel entwickelte ein originelles System, sich durch die Stadt treiben zu lassen, indem er U-Bahn fuhr, an jedem Umsteigebahnhof ausstieg und in den nächsten einlaufenden Zug – egal, in welcher Richtung er fuhr – wieder einstieg. Auf diese Weise legte er jeden Tag völlig unterschiedliche Strecken zurück, die er selbst auch gar nicht unter Kontrolle hatte, sondern die mehr oder weniger vom Zufall bestimmt waren. Er nutzte diese Fahrten dazu, Opfer

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