Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
Cola und Milch trinken, ohne daran einzugehen. Aber es war einfach Brauch geworden, nur noch Blut zu wollen, genauso wie sie sich angewöhnt hatten, keinen Knoblauch mehr zu essen, zum Waschen kein fließendes Wasser mehr zu verwenden, sondern nur noch welches, das in irgendwelchen Zinnschüsseln oder Plastikeimern am besten tagelang abgestanden war, und Kreuze und die Sonne zu hassen. Wohlgemerkt: Sie fürchteten Kreuze und die Sonne nicht, sie gewöhnten sich nur schließlich daran, beide zu verachten, zu vermeiden, schmähend herauszufordern oder sogar geradeheraus anzugreifen. Geburah verstieg sich einmal dazu, an einem der heißesten Maitage springenderweise zu versuchen, die Sonne vom Himmel herabzuziehen, um sie im Wald zu verscharren, und, nachdem das nach über einer Stunde immer noch nicht geklappt hatte, mitten in die Sonne reinzuscheißen und sie so zu ersticken. Bernadette, die das Ganze beobachtete, sabberte pinkfarbenen Speichel vor Lachen und verspürte tiefe Liebe für Geburahs Enthusiasmus. Sie wunderte sich nie darüber, wie viel Liebe in ihr war.
Da sie alle definitiv nicht nur von Blut leben konnten, selbst wenn sie, wie beim Baustellensabbat, so viele Liter davon in sich hineinschlürfen konnten, dass sie blasig aufstoßen mussten, einigten sie sich darauf, außerdem auch noch die Aufnahme von Brot zuzulassen. Trockenbrot. Davon war natürlich nie die Rede in den hehren Vampyrmythen, aber damit mussten sie sich eben abfinden, sie waren keine ganz echten, richtigen Vampyre, würden es niemals richtig werden können, und das Brot war Zeugnis davon Sie achteten zwar pedantisch darauf, dass auf jeder Scheibe Brot, die sie schnitten, oder jedem Klumpen Brot, den sie rissen oder brachen, mindestens ein Tropfen Blut oder Schorf von Arne als Belag war, aber dennoch war ihnen das Brot eine bittere Hostie, die sie an ihre Unzulänglichkeit gemahnte. Arne setzte es dann schließlich trotzig ab, das täglich Brot, für sieben Tage, bis Geburah und die Mädchen rausgingen und ihm ein noch lebendes Kind brachten, um ihn zu retten. An der vom vielen Schreien übersäuerten Lunge und den süßen, frischen Venen des Knaben konnte Arne sich laben, ohne Reue verspüren zu müssen. Sie waren eine Familie und sorgten füreinander, hielten zusammen wie tapsige, flügellahme Flughunde in einer feuchten und feindlichen Höhle. Tagsüber, wenn die lüsterne und fruchtbare Hitze des Frühlings ihren ausgezehrten Leibern und empfindlich gewordenen, zum Ausschlag neigenden Teints wehtat, schliefen sie, aneinandergekuschelt, murmelnd, vom Fliegen und haarigen Wölfen träumend, unter einer löchrigen Decke aus erkaltetem Menschentalg.
Der Juli kam heiß, heiß wie selten einer in diesem Jahrhundert, und mit ihm kamen der Fehler, die Beschleunigung und der Künstler.
Es war das Rot eines Feuerwehrwagens, das den Fehler weckte. Geburah hatte wieder auf den Dächern getanzt, hatte vorher zwei Hunde zerrissen und sich in ihrem Blut gewälzt, es war nicht lange her seit der Wassernixe von Zeuthen und dem blauäugigen Buben, und jetzt fiel er lachend von oben herab über zwei dreizehnjährige Freundinnen her, die in dieser Nacht vom Samstag zum Sonntag viel zu spät von einer Party heimkamen, Kichern, Boys und Flying Horses durch die nächtliche Unmittelbarkeit der Straßen aus den Sinnen gewischt. Geburah spielte mit ihnen, wie eine Katze mit Mäusen spielt, denn er war allein, niemand konnte ihn fangen oder auch nur sehen, und die Mädchen hatten genügend Gelegenheit zum Schreien, bevor er sie nacheinander packte, leckte, herzte, drückte, mit Fingernägeln deflorierte, rüttelte, schüttelte, biss, trank und zerbrach. Er tanzte durch die Lachen ihrer Leben wie ein Cromagnon-Gene-Kelly mit einem Kinderarm statt eines Regenschirms. Und als dann endlich die von anonymen Anwohnern alarmierte Feuerwehr heranschrie, erstarrte Geburah unterm blauen Leuchtfeuer ihrer heiligen Discofackeln und begehrte das makellos helle Rot ihres Fahrzeugs. Waagerecht warf er sich durch die Windschutzscheibe, landete einem schreienden Beifahrer auf dem Schoß, küsste ihn, nahm seine Lippen und seine halbe Gesichtshaut mit fort, wehrte sich spinnenhaft zuckend gegen zwei weitere hell behelmte Azteken, trieb und schliff seine Fänge durch Stoff, Messingknöpfe und Gebein, asthmatische Kleinwagen in chlorophyllgrün und reinweiß schlingerten von hinten und vorne heran, und Geburah entkam den bellenden Stimmen und fraktalen Gewittern nur ganz knapp,
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