Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
gierig und nur auf Menge aus sein, sondern man musste auch den bei Frauen gegebenen Vorteil goutieren lernen, das kostbare Nass direkt durch den Scheidenkanal zu beziehen. Zweitens. Es war verdammt viel schwieriger, an die Harnblase heranzukommen als an eine der verlockend vielen Pumpadern unter der Haut. Ein Hilfsmittel musste also erlaubt sein: ein von Bernadette und Geburah konstruierter Bambusstrohhalm mit einer Metallspitze, die spitz und stabil genug war, durch Haut, Sehnen, Knorpel, Schambein und Bauchfell hindurchgezwirbelt zu werden. Drittens. Anders als bei Blut war es möglich, dass verängstigte Opfer sich bereiterklärten, ihren Urin freiwillig herauszurücken (die Idee des zwischenmenschlichen Urintransfers war im öffentlichen Bewusstsein bereits verankert, schließlich standen in jeder Videothek die Natursekt-Filme gleich neben den beliebten Abenteuern von Freddy und Jason und Michael und Co.). Aus diesem Grund musste solcherart errungener Urin als tot bezeichnet und kategorisch abgelehnt werden. Ebenso galt es, Toiletten-Piraterie von vorneherein zu untersagen. Einfach nur nicht runtergespültes Gut galt als Pfui. (Was Dirk-Daniel nicht verstehen konnte und später auch nicht akzeptierte, aber er war da eine Ausnahme, er nahm alles, was er kriegen konnte.) Und Viertens. Als Urinersatz zur lebenserhaltenden Ernährung bot Apfelsaft sich zwar wegen seiner Konsistenz und Ähnlichkeit an, war aber doch entschieden zu albern. Bestimmte Teesorten wurden zugelassen, noch besser war verdünnter Whiskey oder – was anfangs wirklich der Gewöhnung bedurfte, später dann aber nicht zuletzt aufgrund der großen Vielfalt doch recht beliebt wurde – Hundepisse.
So wurde es also beschlossen, bejubelt und getan. Die ersehnte Beschleunigung kickte endlich und voll ein. In den sengenden Juli- und Augusttagen des Jahres 1994 wurde Hangelsberg, das übrige Umland und auch die Berliner City im ohnehin urinbedampften Bahnhof-Zoo-Bereich von einer unerklärlichen und ungeklärten Serie von Mordfällen heimgesucht, deren einzige Gemeinsamkeit bizarrste Unterleibsverstümmelungen der Opfer zu sein schienen. Ein ruandischer Flüchtling, der in seiner verseuchten Heimathölle den Macheten entkommen war, nur um hier auf dem spätabendlichen U-Bahnhof Konstanzer Straße in eine völlig neue Art der Hölle zu straucheln, starb schreiend im Krankenhaus an den Blutungen, die ihm eine durch die Harnröhre eingeführte Stricknadel (oder irgendetwas in der Art) beigebracht hatte. Die Polizei war völlig ratlos und tippte immerhin mal wieder nicht auf Rechtsradikale, vertuschte die ganze Sache aber doch mehr oder weniger geschickt, um der taz nichts zu Fressen zu geben. Die übrigen Toten – sechs wurden gefunden, und das war noch gar nichts – wurden entweder Jugendsekten aufs Konto gerechnet oder einem aus Bonny’s Ranch entsprungenen Irren oder islamischen Fundamentalisten.
Arnes wertvollste Trophäe aus diesen zwei Monaten war die vollständig intakte und prall gefüllte Harnblase einer Schauspielerin, die bei Gute Zeiten, schlechte Zeiten ein paarmal als Komparsin durchs Bild gehuscht war. Sonja und Dirk-Daniel tauschten sich auch gegenseitig – am liebsten in der Bewegung, im Gehen oder so – ihren Urin aus und fingen wieder mit dem Ficken an, weil’s fast vierzig Grad waren draußen und man bei der elenden Salzausschwitzerei kaum noch auf was anderes kommen konnte. Sie entdeckten auf einem bei Hangelsberg gelegenen Bauernhof eine Jauchegrube, rührten die Eingeweide eines frisch geschlachtenen Kalbs mit rein und zelebrierten ein bisschen Naturkind-Hardcore.
Geburah hechelte rempelnd Feuerwehrambulanzen hinterher, mitten in der Shorts- und T-Shirt-Saunastadt, wurde auf den Busspuren beinahe von Taxen überfahren und legte sich zähnebleckend mit dick angezogenen Pennern an. Dachziegel waren auch nachts noch zu heiß zum drauf Tanzen.
Und Bernadette? Bernadette machte die fundamentalste Erfahrung ihres ganzen Lebens. Bernadette begegnete dem Künstler.
b) Lebendige Kunst
Sie war immer noch auf der Suche nach Spiritualität. Sie selbst leuchtete zwar jetzt, hatte sich gefunden, konnte jede Nacht das Antlitz des Glückes streicheln, aber manchmal war sie erschrocken darüber, wie einsam die Glücklichen und Freien waren, wie farb- und leblos die Schafe da draußen um die Schlachtbänke herumtrotteten, ohne Heil und Lehre, ohne jemals präsente Hoffnung auf Licht. Bernadette war überzeugt davon, dass es da draußen in
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