Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
allzu lange Zeit lassen sollten, bis wir ein Halbwesen aus dir machen. Sonst holt dich das miese Karma, das ihr als natursektschlürfende Irrläufer gebunkert habt, auch noch ein.«
»Du hast recht ... ja, natürlich ... ich bin traurig ... ich bin glücklich ... ich bin geehrt ...«
»Zieh dir etwas an. Nimm was von meinen Sachen, spielt keine Rolle. Ich such schnell die magische Kreide und den ganzen Tünnef zusammen, und dann geht’s los.«
»Hiob ... ich liebe wieder ... ich liebe das Leben ... liebe das Sterben ... liebe dich ...«
»Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich dich beneide, was willst du noch hören? Reiß dich zusammen, konzentrier dich – du heiratest heute, und im Gegensatz zur Menschenwelt heiratet man im Wiedenfließ nur ein mal.«
Sie gingen raus in die Nacht, Hiob mit einer Supermarktplastiktüte voller Krimskrams, Bernadette verzaubert, leuchtend, Abschied nehmend mit jedem Schritt von der quälenden Unzulänglichkeit eines Lebens als – wie Dirk-Daniel es einmal bezeichnet hatte – verdauendes Fleisch.
Sie nahmen die U-Bahn, fuhren schwarz, wie’s sich gehört, stiegen Mehringdamm und am Hermannplatz wieder aus. Die Nacht war mild wie immer, aber erste fadenscheinige Wolken kündeten schon von einem merkwürdigen Herbst, der sich bis in einen fast sommerwarmen Dezember hineinziehen würde. Es war dies, als sie ostwärts gingen, eine Gegend mit immer weniger Kneipen und immer weniger Bars, und es waren deshalb auch immer weniger Menschen unterwegs. Bernadette, die den Mond anstarrte beim Gehen, lächelte über die Stille dieser Heiligen Nacht, die schon bald, mit vampirischen Ohren, dem Tosen und Brausen und pumpenden Gewummere der Wirklichkeit weichen würde.
Als sie sich unter den goldenen Kreuzen des St.-Christophorus-Turmes der Stelle näherten, wo die Nansenstraße sich mit der Manitiusstraße traf, bemerkte Bernadette die Glassplitter auf den Gehsteigen und im Rinnstein. Die Pflügerstraße war nach rechts und links so tot, als wäre man dort noch nicht ans Stromnetz angeschlossen worden. Nur ein paar Fernseher glosten Blau aus Wohnungsfenstern, ansonsten war da nichts. Sämtliche Laternen waren ausgefallen, die Splitter an den Straßenseiten schimmerten mondgebunden.
»Was ist denn hier passiert?«, fragte Bernadette, langsamer werdend. »Sieht aus, als wäre hier ein Tornado langgefegt.«
»Das war ich«, gab Hiob ohne Zögern zu. »Ich habe ein paar Lichter gelöscht, Straßenbeleuchtung, Neonreklamen, den ganzen Scheiß.«
»Du hast das getan ... für mich?«
»Na ja. Ich hab’s tun müssen, um das zu schaffen.« Er deutete nach vorne. Zuerst konnte sie nur sehen, dass die Kreuzung, der sie sich näherten, immer noch beleuchtet war, während hier, wo sie jetzt gingen, eine Art Dunkelzone errichtet worden war. Dann aber dämmerte ihr Form und Bewandtnis der Beleuchtung da vorne, und wie aus den ansonsten ungenutzten Fluchten ihres Unterbewusstseins wurde ihr schockartig auch das Gesamtdesign klar. Hiob hatte einen lichtlosen Kreis geschaffen, in dem jegliches Straßenlicht – auch Hausnummernlampen und Autostandlichter – zertrümmert und gelöscht worden war. Und in der Mitte dieses dunklen Kreises mitten in der Stadt leuchteten still und selig wie ein Weihnachtsbaum etwa hundert Meter Nansenstraße, nach siebzig Metern von der Manitiusstraße geschnitten, die in beide Richtungen noch etwa zwanzig Meter strahlte, bevor auch sie im Kreis der Nacht verlosch. Ein gigantisches, betretbares Kreuz aus Licht.
Bernadette spürte, wie ihre Kniekehlen gefühllos wurden. Sie stemmte sich leicht gegen Hiobs Ziehen. »Nein ... nicht ... zu groß ... das ist zu groß ... das Kreuz ...«
Hiob blieb stehen, nahm ihr Gesicht in beide Hände und redete eindringlich auf sie ein. »Vampire können von christlichen Kreuzen nicht getötet werden, es sei denn, sie sind praktizierende Katholiken, und das bist du ja wohl nicht. Es ist der Glaube, der zählt, nicht das Symbol.«
»Aber ... ich hab dir doch erzählt, dass ich katholisch erzogen worden bin ... Hiob, ich habe Angst ...«
»Das ist ja der Grund, weshalb ich das hier errichtet habe. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, Vampir zu werden: entweder eine entsetzlich langwierige Lehrzeit mit Hunderten von Prüfungen und Aufgaben, und selbst wenn du es eines Tages schaffen solltest, wirst du dann alt und grau geworden sein und so auch vom Vampirismus konserviert werden, alt und grau für alle Zeiten, und wenn ich dich richtig
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