Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
im Augenblick angehe, das sind lediglich Vorzeichen, Prognostica, kleinere Warnungen und Fingerübungen, die die Herren des Übels manchmal fallen lassen, so wie eine strickende Oma Maschen fallen lässt. Gegen eine richtige Manifestation könnte ich mit meinem augenblicklichen Status noch gar nichts ausrichten. Ich bin nur ein Adept, ma chère. Also nimm am besten alles gar nicht allzu ernst. Es ist ohnehin noch nichts, und was man nicht glauben kann, sollte man eh vergessen. Rede ich schon wieder wirr? Komm, wir gehen ins Irrenhaus.«
Diana bezahlte die Rechnung mit einem fetten Trinkgeld und nahm die drittelleere Rumflasche mit. Als sie sich zu Fuß in flirrender Hitze in Richtung auf die Rio-Magdalena-Brücke ostwärts einen Weg durch die sich langsam aus farblosem Delirium herauspellenden Hügelslums bahnten, war sie schon so richtig schön besoffen und amüsierte sich königlich.
Juan Funo wollte die beiden Reifen loswerden, die beim besten Willen nicht mehr zu verkaufen gewesen waren. Das war alles. Er war kein böser Mensch. Er hatte seine Frau nur selten geschlagen, und seine vier Kinder, alles Mädchen, liebten ihn ein wenig. Und er hatte nie jemanden übers Ohr gehauen, dem das wirklich das Genick gebrochen hätte, da kannte Juan Funo nichts. Er fühlte sich mit Deutlichkeit stets zu weich für diese Welt.
Jedenfalls – die Reifen mussten weg, und das blubbernde, fäulnisgasstinkende Loch hinter der Idiotenanstalt war dafür ideal. Ein alter Kinderwagen von Juan Funo lag schon seit einem Jahr dort drin und auch – und das wusste wirklich niemand – das Skateboard, mit dessen scharrendem, knirschenden Rasseln und Rollen ihn der Nachbarsbengel immer frühmorgens von der Matratze geschreckt hatte. Zwar schalt sich Juan Funo einen Narren, dass er ausgerechnet an einem Tag wie diesem – den Schädel noch mehlig vom gestrigen Suff, die Augenbrauen noch schwer und borstig, der Rücken noch schmerzend – die weichen, leichig begrasten Hügel mit den hitzeverzerrten Fliegen hinaufgestapft war, die schweren, dunkel riechenden Gummiringe unter den Armen, aber man konnte sich’s ja nie aussuchen. Jetzt hatte er es geschafft, da war das Loch und stank wie immer nach Leim und Irrenscheiße und nach gekochtem Eiweiß.
Juan Funo holte aus und schleuderte pluutsch! und glübberifff! die beiden alten Reifen in den braunen Pfuhl, zwischen verblasste Kartoffelchipstüten, die mit silbern-metallischem Moos bewucherte Lenkstange eines versunkenen Fahrrades und ein paar Plastikflaschen, in denen einst umsichtig destilliertes und somit richtig gefahrlos trinkbares Wasser gewesen war, und in denen jetzt gelblich schwarze Klumpen wabbelten. Juan Funo lachte, als seine verhassten Reifen in der aufdampfenden Brühe versanken, und er wischte sich mit den Handrücken unter dem Hemd den Schweiß aus den Achseln und dann von der Stirn. Für einen Moment dachte er grienend darüber nach, wie es wohl aussehen würde, wenn ein Mensch in dieser Lake versank, und er kam zu dem Schluss, dass der faulige Müllmorast da unten wahrscheinlich schon bei leichter Hautberührung ätzend war wie konzentrierte Salzsäure, sodass organisches Gewebe sich verflüssigte und auflöste. Mal sehen, dachte er, wenn mir heute Nacht beim Umtrunkzug durch die Stadt wieder irgendjemand dämlich kommt, vielleicht kann ich mir dann mit Alejandro und Dalgito einen wirklich heißen Spaß erlauben und denjenigen hierherschleppen. Vermisst wurde im Carneval sowieso nie jemand. Als Juan Funo sich gerade abwenden wollte, kam die Kreatur hoch.
Die Kreatur hatte nichts mit poetischer Gerechtigkeit zu tun. Sie war nicht durch die halb-erigiert sadistischen Gedanken des guten Durchschnittsbürgers Funo aufgestört worden, sondern durch den zweiten seiner Reifen, der die gallertige Membran im Mittelleib des eigentlich noch embryonalen Dinges aufgeschrammt und den Körperzusammenhalt somit schmerzhaft gefährdet hatte. Die Kreatur war auch nicht darauf aus, sich an Juan Funo zu rächen. Dazu hätte es eines Gehirnes bedurft, um die Ursache einer Wirkung zuzuordnen. Nein, sie wollte einfach nur raus aus dem siedenden Schmerz, und deshalb kam sie auch nicht wie ein klassisches Monster aus dem Sumpf, nämlich langsam und dramaturgisch ausgeklügelt mit einer Hand zuerst, sondern sie detonierte förmlich aus der Müllsäure nach oben, dabei Unrat und toxische Flüssigkeiten verspritzend wie ein sich vom Regen schüttelnder Hund, nur dass das hier eben kein Hund war,
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