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Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Titel: Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Gnade und Güte rührte Lagrima zu schmerzhaft süßen Tränen.
    Die Anstalt lag am Stadtrand, denn Jugendherbergen und Irrenhäuser werden immer in die Peripherie der Bürgerlichkeit gedrängt, aus Aberglaube und aus Furcht. Diana hatte sich bei Hiob untergehakt und erzählte weitschweifig und übertrieben artikuliert irgendeinen Scheiß über die Thesen, die ein gutaussehender liberaler Professor in ihrem letzten Semester aufgestellt hatte, während Hiob das Unmenschliche, das Kalte, das Zahlenhafte, das von dem glattgetünchten Gebäude mit dem zynischen Namen Término Venturoso ausging, spürte, wie ein Blinder ertastete und abmaß und in sich aufnahm. Die Vorstellung, dass man dort Menschen lichtlos einsperrte und würdelos vegetieren lassen konnte, nur weil sie anders aussahen oder eine andere Art zu denken hatten als der typische paranoid-egoistische Normalbürger, berührte und beunruhigte ihn, und seine Eingeweide krümmten sich zusammen, sträubten das Fell und fletschten unsicher knurrend die Zähne.
    Es gab einen Torbogen mit einem geschwungenen Metallgatter. Die Schrifttafeln an der rechten Säule des Bogens waren nicht mehr zu lesen, Warnungen und Anweisungen hatten somit ihren Inhalt, ihre Verständlichkeit und ihren Sinn verloren.
    Das Tor war mit mehreren rostigen und/oder grünspanigen Vorhänge- und Fahrradschlössern zugekettet, aber links und rechts vom Bogen war die Mauer nur knapp einen Meter hoch, oben abgeflacht und so breit, dass sich nicht einmal Gerald Ford hier hätte verletzen können. Hiob fragte sich, ob es tatsächlich möglich war, Insassen mit einem alleinstehenden verschlossenen Tor von jeglichen Fluchtgedanken abzuhalten, aber als er Diana in trunkener Wut am Tor rütteln sah und ihre Flüche und ihr Herbeirufen eines imaginären Pförtners hörte, erkannte er einmal mehr, dass er der Alien war, nicht die anderen.
    Er half ihr über die Mauer, und sie pirschten sich wie eine standesmäßig heruntergekommene Version von Mr Steed und Mrs Peel an das würfelförmige Haupthaus heran. Die Vegetation hier war merkwürdig, die Bäume hatten so etwas Scharfkantiges, Dornenhaftes, und das Gras war von bräunlicher, wie verbrannt wirkender Farbe, obwohl es hier sehr feucht war, jeder Schritt geradezu nachsuppte. Hiob überlegte, wo er beides – die Dornenheckenbäume und den UFO-Landeplatz-Rasen – schon einmal gesehen hatte, und als es ihm wieder einfiel, war er erstaunt über die thematische Zwillingsnatur beider Schauplätze: das gusseiserne, Stacheldraht allegorisierende Mahnmal von Dachau und die anonymen Massengrabfelder von Bergen-Belsen. Dies hier war wie eine Reise in seine eigene, bildungspolitisch verschulte Klassenfahrtvergangenheit und die Vergangenheit des Landes, dessen erschrockener Spross er war. Er visualisierte die Welt, sein Leben, die Gegenwart als einen Marmorkuchen, von dem er bröselnd und krümelnd das Helle, Vanillige löste und nur die dunklen Teigteile herauspulte und mit idiotischem Grinsen aß, mit offenem Mund kauend, den schokoladigen Speichelbrei jedermann zeigend. Und es war verdammt viel Dunkel da, schnell sättigend und schwer.
    »Hör zu, Mädchen. He, ich rede mit dir. Okay. Ich möchte, dass du jetzt da reingehst und möglichst viel Aufmerksamkeit und Chaos auf dich ziehst. Aufmerksamkeit dürfte bei deinem Aussehen und deiner Kleidung kein Problem sein, und Chaos ergibt sich an einem Ort wie diesem ganz von selbst. Ich werde dann versuchen, mich irgendwie reinzuschleichen und unters Volk zu mischen und zu finden und zu tun, was auch immer da drin gefunden und getan werden muss, ich hab immer noch keine Ahnung, was es überhaupt ist.«
    »Wow, ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss, John Wayne. Und das ist dein ganzer Plan? Wir gehen da rein?«
    »Tja, tut mir leid, ich bin nicht Lord Nelson.«
    »Na ja. Dann also gut. Mehr als auffressen können die Missgeburten da drinnen mich ja auch nicht. Und das wäre auch nicht schlimmer, als mit Bankkaufmännern zu bumsen. Sehen wir uns hinterher?«
    »Ich denke schon.«
    »Dann tschau.« Ohne das geringste Anzeichen von Beunruhigung stiefelte Diana armeschlenkernd die kleine Freitreppe hinauf, rüttelte ungestüm am klobigen, gummigepolsterten Türklopfer, schwatzte aufgeräumt mit einer misstrauischen, felliniesken Krankenschwester und schaffte es sogar nach ihrem Eintreten, die normalerweise sicherlich verrammelte Tür halb offen stehen zu lassen. Hiob, dem vor Nervosität ganze Pressluftbohrer durch den

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