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Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Titel: Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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eine singende Sprache sprechen, bei der alle Worte ineinander übergehen und eins sind. Und genauso schienen mir auch die Männer, die sich uns dort auf den Stacheldrahtfeldern entgegenwarfen. Sie gingen ineinander über, und alle waren sie eins. Ihr könnt gar nicht ahnen, wie ähnlich das Sterben die Menschen macht. Innen drin sehen wir alle gleich aus und riechen auch gleich, das hat mich anfangs sehr verwundert. Erst später lernte ich dann, die Nuancen zu unterscheiden.«
    »Die wos?«, fragte der Diffringer.
    »Die feinen Unterschiede. Ihr müsst vergeben, ab und zu benutze ich Worte aus ihrer Sprache. Meine Stiefel sogen so viel auf von ihrem Blut, dass ich fast einer von ihnen wurde, ganz langsam.«
    »Du ... spriachst sowieso goar net meahr wui eanar von eans«, schnaubte der Kall. »Hoben’s dir dei Heimot austrieba im Heer?«
    »Nicht im Heer. Hinter dem Heer war ich gezwungen, Sprache neu zu lernen, und ich lernte aus Büchern, also das Schriftdeutsch. Ich bin keiner mehr von euch, das ist schon richtig, Kall.«
    »Vrzahl!« Wieder der Luit.
    Anton leerte seinen Teekrug und wartete geduldig, bis die Marie ihm nachgefüllt hatte. Draußen wummerte mit vielen Händen Vater Sturm ans Holz.
    »Sie hatten einen ganz erstaunlichen Ort da. Sie nannten ihn Verdun-sur-Meuse.«
    »Mös?« Kall lachte auf, wurde unterm tadelnden Blick seiner Mutter schnell wieder ruhig.
    »Die Meuse ist der Fluß, den die deutschen Maas nennen«, erklärte Anton, ohne auf die Bemerkung einzugehen. »Sie hatten auch einen General dort, der Mann hieß Falkenhayn. Er errichtete in Verdun mit Hilfe einer neuen Erfindung, die er Ermattungsstrategie nannte, das monumentalste Bauwerk, das die Menschheit seit dem misslungenen Turmbau zu Babel je erdacht hat.«
    »A Bauwerk? Wos füar an Bauwerk?«
    »Es war eine Art Trommel, mehrere Meilen im Durchmesser, die auf einem gewaltigen Zapfen mittig auf der Erde balancierte wie ein riesenhafter Kinderkreisel und sich auf diesem Zapfen in verschiedenen Geschwindigkeiten rotierend bewegen konnte. Ich selbst habe diese Trommel so schnell kreisen sehen, dass der Wind in der Nähe herrenlos herumwildernden Pferden das Fell über die Köpfe stülpte. Ein ungeheurer Klang ging von dieser Trommel aus, als wären in ihr die Sommergewitter unserer Berge gefangen, nur gleichmäßiger, kontrollierter und schöner. Wir nannten dieses Bauwerk die Knochen- oder Blutmühle, denn es war gefertigt aus den toten Leibern von Soldaten, und beständig zogen in zwei langen Schlangen Deutsche und Franzmänner auf die Mühle zu, um sie wachsen zu lassen und ihre Geschwindigkeit zu steigern. Wenn man direkt unter ihr stand, füllte sie den ganzen Himmel mit rasender roter und schwarzer und weißer Bewegung aus, wahnwitzig duftende Stürme umtosten einen liebkosend, und wenn die Mühle sich ein wenig schräg neigte, neigte sich mit ihr die Welt. Ihre gesamte Unterseite, weiter und größer als alle Felder, die wir kennen, bestand aus eng an eng gefügten Gesichtern, und an ihren Seitenwänden flatterten Arme und Beine wie Wimpel im Kreis. Und auf einem Hügel in der Nähe, genannt Toter Mann, Höhe 304, stand Falkenhayn und dirigierte sein mächtiges Werk.«
    Das Kaminfeuer, das der Diffringer entzündet hatte, machte jetzt die einzigen Geräusche im niedrigen Raum. Die acht Augen der Zuhörer flackerten im warmen Licht und ersuchten einander um Rat und um Trost. Doch der Erzähler, von dessen Schultern und Haaren es taute, schien sie nicht zu bemerken. Sein Gesicht war in der spiegelnden Klinge der Axt so verdoppelt, dass sein Mund auch aus der Tiefe des Tisches zu ihnen sprach und es jetzt kein Entkommen mehr gab.
    »Ich selbst durfte die Mühle betreten. Es war an einem Tag, an dem die Franzosen butterfarbenen Nebel in unsere Stellungen geworfen und gerollt hatten, und an dem wir deshalb alle diese insektenkopfartigen Masken tragen mussten, durch die der Atem so nass schmeckte wie Spucke. Wir liefen über eine krustige Ebene auf den kreisenden Zapfen zu und feuerten dabei lachend mit den neuesten Gewehren, die sie uns gegeben hatten, aufeinander. Ich sah ein halbes Pferd, das sich mit seinen gebrochenen Vorderhufen durch den Schlick robbte, sah zwei Gesprengte, die durch ein Wunder der Natur ineinandergeschmolzen waren und sich immer noch zappelnd würgten, sah einen viel zu großen Mann auf mich zutaumeln, dem die Zunge durch den fehlenden Unterkiefer wie eine Krawatte auf den Hals hing, sah fliegende Kugeln in allen

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