Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
Glaub mir: Wir treten bald in Erscheinung.
a) nicht gerade einfach
Hiob war gerade dabei, seine Wohnungstür abzuschließen – er wollte was einkaufen gehen, Spaghetti und so –, als ihn der Fremde mitten im Hausflur anquatschte. Ein nicht besonders großer, aber ziemlich kräftig wirkender Mann zwischen vierzig und fünfzig, mit kurzen, schütteren Haaren und einem markanten, furchigen Gesicht. Er trug einen dunkelgrauen Mantel, der noch abgeschabter und zerlebter aussah als Hiobs Weltkrieg-Eins-Relikt.
»Entschuldigen Sie – sind Sie der Maler, der sich auch Enrique Irazoqui nennt?«
»Ähh – ja?«
»Mein Name ist Seelot, ich arbeite bei der Kripo. SoKo RiMa, aber das sagt Ihnen sicherlich nichts, wir halten da auch gut den Deckel drauf.«
»Das ist nie verkehrt. Womit kann ich Ihnen denn helfen?«
»Ich ermittle in der Mordsache Bernadette Jurow.« Seelots Augen waren vielkantig und klar wie geschliffene Diamanten. Dies war der Moment, in dem der Frager erkennen musste, ob alles, was der Befragte von nun an sagen würde, gelogen war. »Sie erinnern sich doch sicher an sie?«
Auch wenn der Bulle ihn gerade voll auf dem falschen Fuß erwischt hatte, ließ Hiob sich nichts anmerken. »Bernadette ... Jurow? Das sagt mir überhaupt nichts. Vielleicht haben Sie ’nen falschen Tip gekriegt.«
Seelot holte ein Foto von Bernadette heraus. Ein gutes Foto. Sie war bleich und sehr schön, ihre sehr roten Lippen lächelten ein ganz kleines bisschen, und ihre herausfordernd halbgeschlossenen Augen streichelten Hiob zwischen den Beinen. Ein Star-Foto. Die Schauspielerin. Die unheilige Bernadette. Von den Toten auferstanden, um ihn zu necken. So, wie sie es sich immer erträumt hatte.
Hiob nahm das Foto und starrte es an wie ein Kurzsichtiger. Sicherlich trug er jetzt ein wenig zu dick auf. »Hmmm ... nnnein, ich kann mich immer noch nicht ... wissen Sie, als Maler begegnet man so vielen gutaussehenden Frauen, vielleicht hatte sie ein anderes Make-up, ein anderes Licht. Vielleicht helfen Sie mir auf die Sprünge?«
»Will Ihnen mal den Gefallen tun. Dachte eigentlich, dass ein Maler – ein Kunstmaler natürlich, kein Anstreicher – über ein ausgeprägtes optisches Gedächtnis verfügen müsste, fast so wie ein ... Inspektor.« Seelot lächelte schief und steckte das Foto wieder in die Brustinnentasche seines Mantels zurück. »Tja, ein gewisser Kunstmaler, der sich Enrique Irazoqui nennt und dessen Beschreibung haargenau auf Sie zutrifft, spielt eine wichtige Rolle auf den letzten fünfzig Seiten von Bernadette Jurows Tagebuch. Haben Sie das nicht gewusst?«
O Scheiße, durchzuckte es Hiob. O Scheiße o nein o nein! Plötzlich stand er mitten auf einem nur dünn zugefrorenen Teich, alle Ufer zu weit entfernt. Die Eisdecke knackte und knirschte bereits, achtundsiebzig Hochleistungsscheinwerfer waren von jenseits der Böschungen auf ihn gerichtet, dazwischen die unbarmherzig beobachtenden Silhouetten von Schaulustigen, die ihn versinken sehen wollten. Von jetzt an musste er sich jede einzelne Nuance jeder Bewegung genau überlegen.
»Tut mir leid, ich weiß immer noch nicht, worum es geht und worauf Sie hinauswollen. Hat diese ... Bernadette etwas angestellt?«
Seelot lächelte wieder wie ein halbseitig Gelähmter. »Vielleicht lassen Sie mich in Ihre Wohnung, da kann ich Ihnen besser die Details erläutern als hier draußen auf dem Flur.«
»Können wir das nicht verschieben? Ich wollte eigentlich jetzt einkaufen gehen. Die Geschäfte machen in ’ner halben Stunde zu.«
»Die Ladenschlussgesetze werden bald fallen, Herr Montag, aber so lange kann ich nicht mehr warten. Ich bitte Sie sehr freundlich, lassen Sie mich ein.«
»Jungejunge, ich hoffe, die Sache ist das wert.« Hiob schloss umständlich und missmutig vor sich hinbrummelnd wieder auf. Der Geruch von Seelots billigem Rasierwasser wühlte in seiner Nase. So ähnlich musste die Gestapo gerochen haben. »Schatz?«, rief Hiob in den Flur hinein, »ziehst du dir was über? Wir haben Besuch, jemand von der Kripo, weiß auch nicht, was das soll, wahrscheinlich ’ne Verwechslung.« Er konnte hören, wie Widder im Wohn-/Schlafzimmer was von Hiobs Sachen aus dem Schrank rupfte.
Seelot drang in die Wohnung ein, wie der Frühling das vor wenigen Tagen schon getan hatte: Er war überall zugleich und füllte jeden Winkel mit veränderter Atmosphäre aus. Er war so fremd hier, dass Hiob das Gefühl hatte, jeder Kubikzentimeter seines Wohnraums, den Seelot
Weitere Kostenlose Bücher