Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
berührte, wurde ihm für immer weggenommen. »Ihr Atelier?« Der Bulle sah sich um, betrachtete ein paar wie explodiert aussehende Abstraktionen genauer. »Schön. Bernadette hat ausführlich von Ihren Bildern geschwärmt. Sie sah wohl viel mehr drin als einfach nur verschmierte Farbe.«
»Ja, das tun manche Leute bei Van Gogh auch.«
»Oh, Van Gogh finde ich auch toll. Der konnte wirklich was.« Der Inspektor lächelte wieder. Hiob wusste jetzt, an wen ihn dieses Lächeln erinnerte: an Volker Rühe. Hiob hatte plötzlich Lust, den Bullen zu töten.
Widder tauchte aus dem großen Zimmer auf. Sie war heute rothaarig und versprühte diese bewegliche Natürlichkeit, die man immer mit irischen Hügellandschaften in Verbindung brachte. Sie sah keinen Tag älter aus als achtzehn, Hiob hoffte, dass sie auch keinen Tag jünger aussah. Freundlich begrüßte sie den Fremden, der auch ihr gegenüber viel weicher wurde, wie ein Lederlappen, der mit Wasser in Berührung kommt. Hiob machte ihr klar, dass sie wohl besser einkaufen gehen sollte, während er hier das unerfreuliche Missverständnis bereinigte. Also nahm sie seine paar zerknüllten Geldscheine und seine fleckige Stoff-Tragetasche und hüpfte kleinmädchenhaft los. Irgendwann würde sie noch mal ’nen Oscar bekommen.
Hiob führte Seelot ins große Zimmer, wobei er als Erstes die Fenster öffnete. Seelot durchstöberte ein paar Folianten in Hiobs wieder geflicktem Bücherbord. »Magie. Schamanismus. Voodoo. Sie interessieren sich für Esoterik und New Age?«
»Ist daran irgendwas nicht legal?«
»Nein. Über Vampirismus haben Sie nichts da?«
»Über Vampirismus? Nein, kein Buch ganz speziell nur zu diesem Thema, aber in einigen steht was drin über ... Moment mal, ich glaube, mir dämmert’s jetzt so langsam. Das Mädchen auf dem Bild ...«
»Ja?«
»Vampiria?«
»Vampiria?«
»Zeigen Sie mir das Foto noch mal.« Seelot tat’s. »Natürlich, das ist sie, nur ganz anders geschminkt und viel voller im Gesicht noch, viel schöner. Als ich sie kennenlernte, war sie schon viel hagerer und totenbleich, wie eine AIDS-Kranke sah sie aus. Deshalb habe ich sie gar nicht erkannt auf Ihrem Bild. Und wie, sagten Sie, war ihr Name? Nicolette?«
»Bernadette. Bernadette Jurow. Erzählen Sie mir bloß nicht, dass sie Ihnen nie gesagt hat, wie ihr Name war. Aus ihrem Tagebuch geht hervor, dass Sie beide eine heftige mehrwöchige Affäre hatten.«
»Mehrwöchig? Kann schon sein. Das Ganze muss schon über ein Jahr her sein, und ich habe viele mehrwöchige Affären innerhalb eines Jahres.«
Seelot schnaubte. »Erzählen Sie mir von ihr.«
»Sie wollte, dass ich sie Vampiria nenne. Das törnte sie mächtig an. Wissen Sie, diese Frau hatte nicht mehr alle Kekse in der Dose. Okay, sie war attraktiv, und sie fand meine Bilder toll, das inspirierte mich, und wir hatten guten Sex, verdammt guten Sex sogar, aber sie schwafelte immer nur von Vampiren und Blut und ihrem Rudel, und als sie mich eines Nachts beim ... na, Sie wissen schon, in den Hals gebissen hat, da hatte ich dann die Schnauze von ihr voll. Ich hab ja nichts gegen kinky, aber irgendwann muss auch mal Schluss sein.«
»Sie hat Ihnen gegenüber ihr Rudel erwähnt?«
»Ja, dauernd. Lauter Vampire und Werwölfe. Sie warf da mit Fachausdrücken nur so um sich. Völlig von der Rolle.«
»Sie haben sich von ihr getrennt? Wann war das?«
»Na, wahrscheinlich so ein oder zwei Wochen, nachdem ich sie kennengelernt habe, mehr weiß ich wirklich nicht mehr. Kann sein, dass es im Frühling war. Oder Herbst?«
»Verstehe. Sie sind ein ganz toller Hecht, was? Don Juan de Marco. Bernadette schrieb in ihrem Tagebuch, sie hätte Sie dem Rest des Rudels vorgestellt.«
»Wem? Den Werwölfen? Kommen Sie, hören Sie auf. Die Frau lebte in ihrer eigenen Traumwelt. Da sie so unberechenbar war und zur Gewalttätigkeit neigte, bin ich überhaupt nirgendwohin öffentlich mit ihr hingegangen, und ich wäre auch bestimmt keiner ihrer Einladungen gefolgt. Was ist denn überhaupt mit ihr passiert, Sie reden von ihr ja nur in der Vergangenheit. Ist sie tot?«
»Ja.«
»Oh. AIDS?«
»Nein.«
»Was dann?«
»Jemand hat ihr die Pulsadern aufgeschnitten und sie verbluten lassen.«
»Jemand hat ...? Könnte doch auch Selbstmord gewesen sein.«
»Wir haben ihre Leiche aus dem Landwehrkanal gezogen. Ihr Blut verklebte eine Straßenkreuzung nicht weit davon entfernt. Ein Ritualmord. Der Täter hat ihre Leiche zum Kanal getragen und da
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