Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
mit sich. Da war noch mehr, noch tiefer Empfundenes. Wie eine Garotte legte es sich langsam um Hiobs Kehle. Der Berliner starrte mit den Portovesmern zusammen auf die Stelle am Damm, wo die Polizeitaucher sich mit resignierter Zeichensprache gegenseitig die Sinnlosigkeit ihres Trachtens bestätigten, wo orangefarbene Seile und auch Pumpschläuche abwärts ins Wasser liefen und Werkzeuge von ratloser Hand zu ratloser Hand gereicht wurden. Da Hiob Teil wurde der Düsternis des Gesamtszenarios, gab es niemanden, dem er als Fremder auffiel. Er verharrte in Trauer und Fassungslosigkeit, genauso wie die Bewohner, und also war er einer von ihnen. Nach und nach fügte sich ihm aus vereinzelten Fragen, die er stellte, und vereinzelten Bemerkungen, deren Sinn er sich übersetzen konnte, das Gesamtbild dessen, was sich hier am kleinen schwarzen Strand von Portovesme ereignet hatte.
Am Vormittag des gestrigen Tages. Während Hiob Montag in einem Märchenpark mit dem Teufel Konversation pflegte.
Der Fabrikarbeiter Luciano Menaghi und seine Frau Spinella sind mit sechs ihrer sieben Kinder an ihren gewohnten Badeort gefahren: der kleine schwarze Strand von Portovesme, in Sichtweite der Metallfabrik-Anlagen des staatlichen Konzerns ENSIL, in denen Luciano Menaghi als Beaufsichtigender Schweißer arbeitet. Das Wasser hier ist sauber, sauberer jedenfalls als bei den helleren Stränden auf der anderen Seite des Hafens, wo andere Fabriken ihre Einleitungen ins Meer lassen und man sich bösen Ausschlag holen kann oder beim Tauchen unversehens in die toten Augen deformierter Fische starrt. Hier, am kleinen schwarzen Strand, gibt es keine Einleitungen. Es gibt zwar unter der Wasseroberfläche liegend ein Rohr in der Mitte des dunklen Dammes, aber aus diesem Rohr kommt nichts heraus, durch dieses Rohr saugt der Konzern ENSIL Kühlwasser für seine heißen Metallverarbeitungsgefäße. Offiziell ist das Baden hier verboten. Die Saugwirkung des Rohres ist nicht ungefährlich, deshalb stehen hier auch überall Verbotsschilder. Früher gab es hier sogar einmal eine Korkenschnur, die den gefährlichen Bereich deutlich sichtbar abgrenzte, aber beim letzten Hochwasser vor acht Monaten ist diese Schnur zerrissen, und bislang hat sich noch niemand so richtig zuständig gefühlt, sie wieder zu ersetzen. Wie gesagt: Offiziell ist ohnehin das Baden hier verboten, das kann jeder sehen, der lesen kann. Aber die Kommune toleriert seit Jahren, dass die Arbeiterfamilien hier an warmen Tagen ihr Vergnügen haben. Von der Fabrik aus kann man den schwarzen Strand sehen; besonders an den ganz heißen Sommertagen ist der Gedanke an ihn und sein beinahe klares Wasser das Einzige, was die schutzvermummten Arbeiter, die mit glühenden, geschmolzenen Erzen hantieren, überleben lässt. Es wäre unnötig grausam, den Strand ganz zu schließen. Darin sind sich alle einig. Da das Wasser hier so sauber ist, kann man sogar auf gesunde Fische hoffen. Luciano Menaghi hat also seine Angel mit, eigentlich weniger, um wirklich etwas zu fangen, als vielmehr des Angelns wegen. So ein beruhigender Zeitvertreib, nach all der Hektik von Arbeit, Frau und Kindern.
Während Vater Menaghi also fischt, Mutter Menaghi auf die kleineren Kinder aufpasst, geht die älteste Tochter Stefania schwimmen. Stefania ist gerade 15 geworden. Sie hat einen Freund, der zwei Jahre älter ist, und wie jedem Mädchen in ihrem Alter ist es ihr sehr ernst mit ihm. Sein Name ist Vittorio, und sie wünscht sich, er wäre jetzt hier und könnte mit ihr schwimmen und sehen, wie fraulich sie in ihrem neuen Bikini schon aussieht. Ihr Vater hat ihr tausendmal erklärt, nicht zu nahe an den Damm heranzuschwimmen, aber das ist jetzt irgendwie wie alles, was einem tausendmal eingeschärft wird. Man hört nicht mehr richtig hin, man achtet nicht mehr darauf, als würden die Ermahnungen schon Schutz genug sein, ein auswendig aufgesagtes Mantra, das alles Übel bannen kann. Oder als würden die Ermahnungen sich gegenseitig aufheben und nichts übrig lassen als die vage Empfindung, dass eigentlich nur Selbstverständliches geäußert wurde. Nichts, worüber man sich andauernd – und besonders nicht gerade jetzt – Gedanken machen muss.
Auftritt Taddeo Serrano. Er ist ein junger Mann von 21 Jahren, nicht hässlich, aber er versteht es nicht, sich so anzuziehen oder so zu frisieren, dass er auf Mädchen Eindruck machen könnte. Er ist ein bisschen einfach im Geiste, aber ein gutmütiger Kerl. Er sitzt gerne ganz
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