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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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und sich zur Ferne hin gegenseitig reduzierten. Der Seehimmel irrlichterte jetzt, kurz tanzte dort ein hundertarmiger Leuchter aus schnell vergänglicher Helligkeit. Der anschließende Donner rollte heran und vorüber wie eine begnadigende Flutwelle. Die Polizeitaucher, die sich, gewichtbeschwert und seil-und-gestängestabilisiert bis zur Mündung des Rohres hinabgetastet hatten, wurden zurückgezogen und begannen, etwas über im Scheinwerferlicht tanzende Schatten, die Leichen sein könnten, zu faseln. Man lud die orientierunglos mit ihren Flossen herumtappenden Froschmänner über eine Rampe wie Rinder in einen Wagen und machte sich fürs Erste davon. Unverrichteter Dinge. Das Ritual wurde vertagt, aber das Entsetzen wurde von allen mitgenommen wie ein aus der Tiefe geborgener Fluch.
    Ganz allmählich wurde Hiob der Einzige am Schauplatz. Er hatte sich auf einen der kantig zerrissenen Felsen gekauert und hielt dem immer fadenartiger werdenden Regen geduldig stand. Eine letzte Gruppe von Menschen stand noch auf dem Damm und ringkämpfte langsam untereinander. Es waren die Eltern von Curzio Salda und diejenigen, die es übernommen hatten, sie zu betreuen. Die Eltern wollten bleiben, wollten sich fortspülen lassen von Flut und Wolkenbruch, sich wegblitzen lassen wie die Bewohner Hiroshimas, von denen nur fassungslose Schatten geblieben waren, sich davondonnern lassen ins große taube Nichts, wo solche Schmerzen keine Rolle mehr spielten. Hiob konnte etwas herüberwehen spüren von dieser Gruppe, etwas, das so in etwa besagte, um wie viel besser es gewesen wäre, wenn der arme Curzio von einem Kinderschänder vergewaltigt und geschlachtet worden wäre. Man hätte dann wenigstens einen Schuldigen gehabt, eine Richtung, in die Hass und Rache projiziert werden konnten. Aber das Meer war so indifferent, so unpersönlich, unangreifbar. Es hatte keine Lust, keine Wut, und es verlor niemals die Kontrolle über sich. Es war niemandes Freund und niemandes Feind. Und es hatte sich einfach so dafür entschieden, Curzios Leben und das der anderen wegzunehmen, und es brauchte sich nicht einmal zu rechtfertigen. Hiob merkte, als er über diese verzweifelte Stimmung nachdachte, dass er es verhältnismäßig leicht hatte im Leben, verglichen mit dem Schicksal solcher Eltern. Für ihn hatten das Grauen und alle Ungerechtigkeit ein Gesicht und einen Namen. Er wusste genau, wohin er zu hassen hatte, und sein Feind reagierte sogar auf ihn, sprach mit ihm, bestätigte ihn dadurch. Hiob hatte schon im neunzehnten Jahr seines Lebens jemanden gefunden, dem er alle Schuld der Welt in die Schuhe schieben konnte. Vielleicht war das ja eine Vereinfachung der Wirklichkeit, aber dann wiederum war die Wirklichkeit auch so schon kompliziert genug.
    Die Eltern wurden von der Bühne geführt. Sie waren zu schwach, zu dehydriert vom vielen Weinen, um sich noch lange gegen die Beschwichtigungen und das Drängen der Hilflosen wehren zu können. Das Gewitter tobte jetzt beinahe senkrecht über dem Schauplatz. Einzelne Blitze räkelten sich knatternd fast hinunter bis zur bebenden Meeresoberfläche. Eine Kommunikation fand statt zwischen den Elementen, die den Planeten schon geprägt hatten, als seine Kruste noch weich war wie die Fontanelle eines Neugeborenen. Die Lautstärke der unmittelbar den Leuchtspuren nachfolgenden Donner spottete jeder Beschreibung. Hiob erhob sich langsam und zog sich aus bis auf seine dunkelgrauen Boxershorts. Sorgfältig legte er seine Kleider, Schuhe und seinen Seesack in eine Felsnische, aus der sie wohl nicht fortgespült werden konnten. Nass war alles ohnehin, er wollte nur – mittelmäßiger Schwimmer, der er war – verhindern, dass das Gewicht der vollgesogenen Klamotten ihn manövrierunfähig auf den Grund zog. Schließlich sprang er. Für einen Moment sah es so aus, als würde er durch einen neonfarbenen Birkenwald aus zuckenden Blitzen fliegen, während er kopfüber die drei, vier Meter bis zur Wasseroberfläche hinunterschoss, Stabilität der Körperhaltung einzig durch die eigenen Geschwindigkeit gewinnend. Dann schlug er ein ins kalte Dunkel. Augenblicklich wurde es leise, nur dumpfes Blubbern umschäumte ihn hier. Die Meeresstellen um diese Felsen herum waren bereits so tief, dass Hiob selbst beim Eintauchen den Grund nirgends finden konnte. Er tauchte auf in den Lärm, orientierte sich kurz und tauchte dann dicht unter der Oberfläche Richtung Damm. Durch den prasselnden Regen war die Wasseroberfläche irgendwie

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