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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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aber Schwierigkeiten. Er war noch nie ein begeisterter Tourist gewesen, hatte eigentlich noch nie so etwas wie Fernweh verspürt. Wahrscheinlich lag das daran, dass sein Alltag aufregend genug war, um ein Gefühl wie den die-Decke-fällt-mir-auf-den-Kopf-Frust nie zuzulassen. Hiob war überzeugt, dass das Verreisen , das Urlaubmachen , das in den wohlhabenden Ländern der ersten Welt in völliger Verkennung der globalen Gesamtsituation als Selbstverständlichkeit, als Grundrecht betrachtet wurde, im Grunde genommen nur einer niederschmetternden inneren Perspektivlosigkeit entsprang. Immer wenn die satten Weißen der Erkenntnis allzu nahe kamen, dass sie überhaupt keine Rolle spielten in irgendwas, machten sie entweder eine schöne Reise oder kauften sich ein noch schnelleres Auto. Tapeten wurden gewechselt, wo ein Niederreißen von Fundamenten vonnöten gewesen wäre. Hiob dagegen verreiste nie zum Spaß. Dazu wusste er viel zu genau, wer er war und wohin er wollte, und dass er all dies nur in sich selbst finden konnte, nicht auf irgendeinem Fleck der Landkarte. Wenn Hiob reiste, dann, um zu arbeiten. Er war ein Dienst-, ein Handelsreisender des Schreckens.
    Die schwarz gekleidete Wirtin weckte ihn, damit er den Omnibus noch rechtzeitig erwischte. Er musste schließlich doch eingeschlafen sein. Katzenwäsche, Frühstück aus amerikanischen Corn Flakes und sardischer Milch. Es regnete noch immer, und Hiob kam klatschnass an der Bushaltestelle an und bezahlte sein Ticket.
    Die Fahrt zog sich hin. Bleigrau und genauso schwer lag der Himmel über dem ansonsten recht malerischen Land und schüttete endloses Wasser über die Hügel hin, nicht mit der Gewalt eines Wolkenbruches, eher mit der stumpfen Resignation eines Fließbandarbeiters. Die Hügel sahen merkwürdig aus, als wären sie gerade eben erst aufgestanden und hätten noch Mundgeruch. Einige von ihnen schienen sich an der Peripherie zwischen Himmel und Erde aufzulösen, zersetzt von der geduldigen Marter des Regens, ausgefranst von Seewind und der Härte der Felsen dahinter. Von den berühmten zyklopischen Steintürmen war von der Landstraße aus nichts zu sehen. Zurückgezogen hatten sie sich in die sehr dunkelgrünen Wälder, trollisch-knorrige Lebensformen mit den unwahrnehmbar langsamen Bewegungen der Ewigen.
    Schließlich ruckelte Portovesme hangabwärts ins Bild. Im Hintergrund schlug wieder endloses Meer braun brodelnd über längst verstorbenen Korallenwäldern zusammen. Die Küste sah hier so zerklüftet aus, als könnte man sich beim Klettern an den Felsgraten glatt Finger abschneiden. Portovesme selbst war eine mittelgroße, farblose Erscheinung, irgendwie hängen geblieben in der Entwicklung vom Dorf zum Städtchen. Ein paar Werbeschildchen und schüchterne Neons ließen darauf schließen, dass der Tourismus auch diesen Ort zwar flüchtig gesprenkelt, aber niemals wirklich vereinnahmt hatte. Hiob war der Einzige, der hier ausstieg. Die Innenstadt wirkte wie ausgestorben, der Regen verwehte im Leeren. Ein Blick auf die früher wohl mal rosarot gewesene Kirchturmuhr gab Hiob Aufschluss darüber, dass der Tod der sechs Menschen noch keine vierundzwanzig Stunden her war. NuNdUuN hatte ein Tagesgespräch prophezeit, das Unglück musste also bereits bekannt geworden sein. Wahrscheinlich war das der Grund für die Abwesenheit allen Lebens hier.
    Hiob tappte erst mal – so gut es ging die Regendeckung von Balkonen, Steinbögen und Arkaden ausnutzend – in den labyrinthischen Windungen Portovesmes herum und wandte sich dann abwärts Richtung Meer, zum kleinen, beschaulichen Hafen. Auch dieser lag wie ausgestorben da, verschleiert und gleichzeitig aufgewühlt vom monotonen Prasseln der allgegenwärtigen Tropfen. Hiob fing gerade an, sich Sorgen zu machen, ob der Stadt vielleicht noch etwas sehr viel Entsetzlicheres zugestoßen sein könnte als nur das Ertrinken einiger Bürger, ob hier vielleicht eine Art Neutronenbombe hochgegangen sein könnte, die zwar alle Bauwerke unbeschadet stehen ließ, aber alles Lebendige verdampfte –, als ein paar Leute in dunkler Regenkleidung über ein paar Klippen linkerhand des Hafenbeckens geschlurft kamen. Sie alle sahen müde aus und alt, auch die jungen unter ihnen. Zwei Handvoll Menschen, die so lange im Regen zugebracht hatten, dass ihre Gesichter aussahen, als würden sie durch Kiemen atmen.
    Hiob ging ihnen entgegen und erkundigte sich mit englischen Wortfetzen nach dem Verbleib der Stadtbevölkerung, er sei ein

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