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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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gewesen, dass er ganz vergessen hatte, irgendetwas zu unternehmen, um sie zu retten.
    Hiob stellte die Elemente auf die Probe, um nach Sardinien zu gelangen. Luft, Wasser und das Land.
    Zuerst flog er nach Rom, was kaum zwei Stunden dauerte. Von dort aus hatte er die Wahl, mit einer klapprigen Charter direkt rüber nach Sardinien, nach Cagliari, zu fliegen, oder mit einer noch klapprigeren Charter nach Napoli runterzustürzen und von dort aus eine Fähre zu nehmen. Er entschied sich für Letzteres, weil die Menschen, deretwegen er reiste, ja ertrunken waren, und es deshalb nicht schaden konnte, sich mit dem Tyrrhenischen Meer vertraut zu machen.
    Die Ewige Stadt war beeindruckend, trotzdem das Wetter nassforsch und für fortgeschrittenen Frühling unverhältnismäßig kühl war. Hiob, der nicht viel eingepackt hatte, in seinem verschlissenen Greenpeace-Seesack nur ein paar Ersatzkleidungsstücke spazierentrug, schlenderte zwei Stunden omnibushoppend über antik-wuchtige Plazas und durch von Satelliten-Emfangsanlagen überwucherte Hügelgassen, um Zeit bis zum weiterführenden Charterflug totzukriegen. Mit ihrem sich türmenden Unrat, dem gnadenlosen Abblättern altehrwürdiger Schönheit und der unglaublich schlechten, abgasverfärbten Luft übte Rom eine morbide Faszination aus, die den Spieler sofort in ihren Bann zog. Rom war wie eine siebzigjährige Domina, die ihre schlechtsitzende und faltenwerfende Ledercorsage mit so etwas wie hochaufgerichtetem Stolz trug. Von hier aus war einst die bekannte Welt beherrscht, geknechtet und zwangsvergrößert worden, und dieses ›einst‹ war kosmologisch gesehen – in NuNdUuN-Maßstäben also – noch gar nicht so lange her. Es war nicht schwer hochzurechnen, dass das einzige noch verbliebene Weltreich der Gegenwart, die USA, in den kommenden Jahrzehnten einen entsprechenden Verfall durchleben würde. Einen ganz kurzen Blick durch eine gewundene Gasse konnte Hiob erhaschen auf das großartige Colosseum. Hier, nur hier, war auf dieser Welt der angemessene Schauplatz für ein entscheidendes Duell mit NuNdUuN. Hier sah Hiob sich streiten und bluten und triumphieren, und der Jubel Zehntausender galt ungeteilt ihm.
    Während des Fluges nach Neapel fing es an zu regnen und hörte danach nicht mehr auf. Neapel, im Schatten des heute Regenwolken speienden Vesuv, war weniger wuchtig, martialisch als Rom, wirkte eher wie eine halb von einem Erdbeben aufgeworfene Plattenbautenkolonie. Hiob erfuhr hier, dass er großes Glück hatte, dass die Sardinia Ferries sich ausnahmsweise mal nicht im Streik befanden. Er buchte sich radebrechend durch und fand sich schon bald unter Deck einer schlingernden Fernfähre wieder. Das Tyrrhenische Meer schien zu kochen, von oben und unten fielen die Wasser zusammen, Hiob lächelte über den Gedanken, dass er wegen unbekannter Ersoffener ersaufen würde, wenn der Seelenverkäufer hier umschlug. Kurz darauf übergab er sich laut röhrend in ein krustiges Zinnwaschbecken.
    Lange genug dauerte die Überfahrt, dass Hiob sich an seine Seekrankheit gewöhnen, sich dann mit ihr anfreunden und schließlich sogar auf sie gestützt und an sie gelehnt mit ihr auf Deck herumpromenieren konnte, nachdem der Wellengang wieder ein paar Grade abgeflaut war. Aus halb geschlossenen Augen starrte er über die Reling auf die vorbeistrudelnden dunklen Wasser hinab und ließ astrales Senkblei in die Tiefe loten. Das Meer war indifferent, unendlich, unsterblich. Es erwartete ihn nicht, noch versuchte es, ihn zu vertreiben. Es erinnerte sich auch nicht an die, die gestorben waren, an niemanden. Es war das Meer, und es war schon hier gewesen, bevor es ein Land gab, das von Menschen träumte, und dann Menschen, die von NuNdUuN träumten.
    Die Fähre legte schließlich an einem sehr, sehr späten Abend im Golf von Cagliari an, und Hiob betrat sardische Erde, den Seesack über der Schulter, das Haar von Salzen verklebt. Wie eine Figur aus einem Abenteuerroman von Joseph Conrad kam er sich vor. Den Einheimischen erschien er eher als teutonischer Tourist.
    Nach Portovesme ging es von hier aus in absehbarer Zeit nur noch über Land weiter, mit einem Linienbus, und für den war es heute schon zu spät. Also quartierte sich Hiob für eine Nacht in einer urigen Herberge ein, schlang eine Portion grüner Rigatoni hinunter und lag nachts auf dem quietschenden Federbett wach und lauschte dem steten Rauschen des Regens. Er versuchte, sich in die Atmosphäre des Landes einzufühlen, hatte

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