Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
Vom Netzwerk:
Tourist, gerade vorhin mit dem Bus angekommen, und könne hier nicht mal jemanden finden, der ihm ein Zimmer vermieten wolle, und so weiter. Die Leute erklärten ihm mit erschlaffter Geduld, dass schon noch Leute in der Stadt waren, aber die hatten sich wohl alle verbarrikadiert und beteten zur Heiligen Jungfrau und weinten, denn großes Unglück sei dem Ort widerfahren, das größte denkbare Unglück von allen, und er – der Reisende – hätte sich den schlechtestmöglichen Zeitpunkt ausgesucht, um gerade hier Urlaub machen zu wollen, aber das sei natürlich nicht seine Schuld. Seltsamerweise gelang es Hiob nicht, aus den im Vorüberwanken begriffenen Einheimischen herauszukriegen, was denn nun genau passiert sei, aber sie bezeichneten ihm mit schweren Gesten einen ganz bestimmten Weg in die Klippen, und dort werde er alles erfahren können, was er wissen wolle. Hiob bedankte sich respektvoll und begab sich auf genau diesen Weg. Die Bezeichnung »Das größte denkbare Unglück von allen« machte ihm zu schaffen, und er begann zu schwitzen, obwohl die Himmelswasser, die ihn wie einen Schwamm vollsogen, alles andere als warm waren. NuNdUuN hatte ihn hämisch gewarnt. Natürlich würde dieses Prognosticon ihm wehtun, dafür hatte der Lichtbringer schon gesorgt. Dunkle Ahnungen umwölkten Hiobs Stirn, und sie bestätigten sich alle.
    Der Weg durch die Klippen war rutschig und trügerisch. Mehrmals glitt Hiob mit seinen für solche Wanderungen doch etwas ungeeigneten Basketballsneakers beinahe aus. Über ihm entluden sich meteorologische Friktionen in einem feinen Gespinst von Blitzen, das wie ein Haarnetz oder eine glühende Drahtkrone über den Felsformationen schwebte. Regenbeschwerte Möwen flatterten wie Fledermäuse umher, richtungslos, aufgeschreckt, beschattet von Lichtverhältnissen, die einer späten Abenddämmerung angemessener waren als mittäglichem Zenit. Satt tönender Donner rollte über der See, bassig sich in verschiedenen Varianten verschachtelnd, hier und dort neu aufbrechend, eine Explosion mit vielen Nebenherden. Ein Flächenbrand von unten, ein himmlisches Erdbeben.
    Voraus die verschiedenfarbigen Blinklichter verschiedener Einsatzfahrzeuge. Carabiniere waren vor Ort, ein Ambulanz-Team, die Feuerwehr ebenfalls, und noch ein grünfarbener Volkswagenbus wahrscheinlich eines Wasserwerks. Das unterschiedlich getaktete Geblinke machte den Eindruck einer ganz besonders hässlichen Provinzdiskothek und spiegelte sich vielgebrochen in all den Tausenden von Wasserlachen ringsum. Hinten auf den ins Meer hineinragenden Klippen und gerade zu, dort, wo die Felsen in immer sanfter verlaufendem Abwärtsschwung in einen pechschwarzen kleinen Strand übergingen, verteilte sich eine Menschenmenge aus vielleicht insgesamt vierhundert Personen, bewehrt mit Regenschirmen, Öljacken und dicken durchtränkten Pullovern. Linkerhand wurden die Felsen in mehreren Hundert Schritt Entfernung von einer rußigen Fabriksilhouette überragt, die in ihrer trostlosen Trutzigkeit ein wenig an ein unheilkündendes Karpatenschloss erinnerte. Immer noch linkerhand, aber näher am Strand, bohrte sich ein ebenso düsterer Damm nach hinten ins Meer. Dieser Damm wimmelte ebenfalls von Menschen, aber Zivilisten waren nicht darunter. Mit Plastikfahnen und Hindernislaufhürden war der Damm abgesperrt worden und wurde jetzt ausschließlich von Offiziellen bevölkert. Taucher waren unterhalb von notdürftig zusammengeschusterten Metallgerüsten dabei, die brodelnde See abzusuchen. Scheinwerfer scheiterten um sie herum an der Dunkelheit des Wassers. Polizisten, Feuerwehrleute und weißgekleidete Notärzte standen durcheinandergemischt nebeneinander und starrten mit traurigen Augen vom Damm hinab ins Wasser. Sechs Bahren waren bereitgestellt, aber alle sechs waren leer. Der Himmel wetterleuchtete mit zunehmender Wut, und die Menschen auf den Klippen, die weniger wie schaulustige Gaffer als vielmehr wie Anteilnehmende aussahen, die um ein offenes Grab herumgruppiert sind, zuckten in sich zusammen und machten sich kleiner, um der Aufmerksamkeit der Gewalten zu entgehen.
    Hiob hatte es längst aufgegeben, sich gegen den Regen schützen zu wollen. Er mischte sich unten am kohleschwarzen Kieselstrand in eine größere Gruppe von Durchnässten, denen die Haare fransig in die Stirn geklatscht waren. Einigen von ihnen schien es noch nicht mal nass genug zu sein; sie weinten leise vor sich hin. Tatsächlich trug der aufböende Wind nicht nur Meersalz

Weitere Kostenlose Bücher