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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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lasst uns gehen.
    Lasst uns marschieren.
    Lasst uns Stechschritt exerzieren.
    Man kann sich seines Lebens nicht mehr sicher sein.
    Ohne Schüsse in den Straßen eine neue Form von Krieg.
    Wir sind alt, wir sind schwach. Wir waren mal wer. Wir waren mal die Beherrscher der Welt, alle anderen Völker haben vor uns gezittert. Jetzt trauen wir uns kaum noch vor die Haustür, finden uns in den Supermärkten nicht mehr zurecht, leiden Schmerzen bei jeder Bewegung, werden vom Staat um jede Mark betrogen und müssen uns anpöbeln lassen von stinkenden Ausländerkindern.
    Oh, wir stinken auch. Wir stinken nach der Pisse, die wir nicht mehr halten können, und wir hassen uns dafür. Wir hassen, was aus uns geworden ist. Wir waren so ein schönes Paar.
    Hol die Fotos heraus, die braunvergilbten.
    Schau mich an mit deinem Hass und gib mir deine Runzelhand.
    Es ist dieser Hass, der uns vereint, fester noch als Ringe.
    Wir haben alles überlebt.
    Selbst unsere Kinder.
    Schmerz ist unser täglich Brot, doch wir vergessen nie.
    Ich habe keinen einzigen Gedanken.
    Mein ganzer Körper schreit nur: Mehr.
    Willst du, dass ich vor dich krieche? Ich tu’s.
    Missbrauch mich, wenn es dir gefällt. Wenn es dir nichts ausmacht. Mir macht es nichts aus.
    Nur gib mir was, ja? Gib mir was.
    Den Traum, der aus Amerika kam.
    Ihr. Seht. Mich. An. Und denkt: Die Arme dort verreckt.
    Ich kann nur lächeln.
    Zwar dehnen sich die Stunden harter Tage zu einer Höllenkluft.
    Doch kenne ich das Paradies. War dort. Hab es gesehn.
    Und wenn du mir was gibst, komm ich ganz sicher wieder hin.
    Ich mach mich kaputt, ich weiß, ich weiß, ja doch, ja.
    Ein frühes Ende, Herztod, der Statistik entsprechend.
    Weißt du was? Meinen ersten Infarkt hatte ich mit 27! Was sagst du dazu? Nichts mehr, stimmt’s? Scheiß auf die Statistik, ich bin viel schlimmer dran.
    Ich bin kein Durchschnitt, ich bin besser.
    Ich arbeite hundertzehn Stunden in der Woche mindestens und habe nur Verachtung übrig für die richtungslosen Verlierer, die für fünfunddreißig oder so was streiken. Ich bin der beste Mann in meiner Abteilung, ich verdiene zwölftausend im Monat netto, mein Chef und ich duzen uns, wir gehen zusammen in den Club und ficken nacheinander dieselbe, ich trage eine Rolex mit Diamanten und maßgefertigte Schuhe, ich fahre einen Porsche sportlich, mein Handicap beim Golf ist vierzehn, und ich arbeite daran.
    Aber unterschätz mich nicht.
    Ich bin kein dummer Yuppie, der sich verkauft hat. Ich bin nicht tot, kein Zombie, ich mach das alles nicht für Geld.
    Ich bin ein Visionär, ein Neuerer.
    Ich habe einen Traum.
    Nichts hat mehr einen Sinn.
    Ich muss an all die blöden Geschichten denken über Priester, die ihren Glauben verloren haben. Das ist alles so lächerlich. Wie kann man seinen Glauben verlieren? Entweder man hat nie richtig geglaubt, oder aber doch, und dann verliert man das auch nicht.
    Bei mir ist das anders.
    Was ich tue, hat nichts mit glauben zu tun.
    So etwas wie Glauben habe ich nie gehabt. Ich bin ein praktischer Mensch.
    Ich bin kein Träumer, kein Schwätzer, kein Wortverdreher und Verkäufer.
    Ich bin Lehrer, ich unterrichte Kinder.
    Und niemals, niemals hat jemand mir gesagt, dass es so sein würde.
    Ich verstehe nicht einmal mehr ihre Sprache. Ich bin nur zehn Jahre älter als sie und verstehe nicht einmal mehr ihre Sprache.
    Ihr Nihilismus bringt mich zum Zittern. Ihre Gewaltbereitschaft macht mir Angst. Ihre naive Begeisterung für geklonte Idole lässt mich den Kopf schütteln. Ihr vorgezeichneter Weg in die Arbeitslosigkeit und den sozialen Albtraum lässt mich mitleiden. Die familiären Infernos, denen sie entstammen, bringen mich zum Kotzen. Ihr Drogenkonsum stößt mich ab. Die heftige Unbelehrbarkeit ihrer sexuellen Triebe verwirrt mich. Ihre Verweigerungshaltung meinem Lehrstoff gegenüber bringt mich zur Verzweiflung. Ihr Mangel an Respekt und Angst lehren mich das Fürchten. Die virtuellen Kult-Welten, in denen sie leben und über die sie sich austauschen, bleiben mir verschlossen. Die rückhaltlose Radikalität ihrer verschiedenen politischen Ansichten macht mir Sorgen. Ich denke nach über ihrer aller Nähe zum Tod und wälze mich nachts schwitzend im Schlaf.
    Gestern erst habe ich vor dem Betreten des Klassenzimmers in den Gang gekotzt. Ich habe einfach den Druck nicht mehr durchgehalten, den Wirbelsturm von Ängsten, der hinter der Tür auf mich lauerte.
    Im staubigen Kreischen der Kreide habe ich begriffen, Lektionen

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