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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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etwas herauszufinden. Das unüberschaubare Feld empirisch zu erfassen. Es gab eine Möglichkeit zu lernen, indem man Trial and Error wagte, wenn man bereit war, die Folgen zu verantworten. Und wann, fragte sich Hiob jetzt, bin ich bereiter dazu, als an einem Tag wie diesem, an dem NuNdUuN mich so enorm verscheißert hat, dass der Gestank noch auf Jahre an mir kleben bleiben wird?
    Also tat er’s.
    Er wagte das Undenkbare. Das-Ding-das-nicht-sein-durfte.
    Er schlug Gott ins Gesicht.
    Es war eigentlich nicht mehr als ein Wischer mit dem Handrücken. Zu sehr fürchtete sich Hiob, sich in der eisenharten Visage des Dämonenherrschers ein paar Finger zu brechen oder sich krustige Reißzähne ins Fleisch zu bohren. Aber so ein Wischer war vollkommen in Ordnung. Eine barocke Ohrfeige. Eine klatschende Maulschelle, zu jeder Zeit, in jedem Jahrhundert, als den physischen Schmerz weit übersteigende Geste der Demütigung verständlich. Fehdehandschuh mit bloßer Hand. Dekadente, leicht gezierte Geste der vollkommenen Geringschätzung. Nur dass kein Hofstaat zugegen war, dessen Tuscheln, Rascheln und Herzschlagen durch den lauten Patsch zum Stillstand gebracht werden konnte.
    Die Auswirkung des Schlages in NuNdUuNs wohlmodelliertem Gesicht sah merkwürdig aus. Der Bewegungsablauf des ein Stück zur Seite geruckten Kopfes schien sich in mehrere Phasen aufzusplittern, die bestehen blieben, bis der Kopf aussah, als würde er sich in augenüberlastender Schwingung befinden. Dann endete diese Schwingung oder Vervielfältigung. Wie lebendig krochen NuNdUuNs Haare knisternd auf der Kopfhaut wieder in ihre ursprüngliche gepflegte Form zurück. Der Gesichtsausdruck des Fürsten war unbewegt, keinerlei Rötung auf der rechten Wange, wo Hiob ihn getroffen hatte. Vielmehr suchten seine dunklen Augen die von Hiob, die wie Fischlein in trüben Gewässern wegzuschwimmen trachteten, denn plötzlich spürte Hiob Montag eine ganz neue Art der Furcht in seiner auch am heutigen Tage bereits um neue Ausstellungsstücke erweiterten Menagerie der Furchten. Es war die yin-yang-förmige und -farbige Furcht von einem, der halb erwartet, dass ihm jetzt die blutende, kreischende Seele aus der Wirbelsäule gerissen wird, halb aber hofft, dass das Regelwerk des Spieles stark genug verankert war, um seine diesbezügliche Immunität auch gegen den rasenden Zorn des ungleich Mächtigeren zu behaupten.
    Doch NuNdUuN wurde nicht zehn Meter groß, klappte zwanzig Reihen mannshoher Säurehauer aus oder tunnelte durch einen spritzenden Vorwärtssprung durch Hiobs Körpermolekularstruktur.
    Er hob nur leicht die Augenbrauen und fragte mit ruhiger Stimme: »Der springende Punkt für dich und mich ist jetzt: Hat er diesen Schlag kommen sehen oder nicht? Wusste er schon vorher, dass der Spieler ihn schlagen würde? Diente die ganze Phase der Provokation nur diesem einen Zweck? Oder wurde er wirklich überrascht? Warum wehrte er sich dann nicht oder hielt die Hand des Spielers einfach auf? Du siehst, Hiob: Was wirklich von Bedeutung ist, ist immer nur das, was ich tue, oder weshalb ich etwas nicht getan habe, was ich hätte tun können. Was ist das für ein Gefühl, Spieler Hiob? Wenn man egal, was man tut, immer nur die Zweitbesetzung ist?«
    Hiob konzentrierte sich aufs Atmen. Nicht denken jetzt. Die Schlaghand tat weh, aber nicht allzu sehr. Atmen nicht vergessen. Nicht denken jetzt. Nur atmen. Einfach. Leicht hier, über Wasser. Einfach, kein Problem.
    »Einen kleinen Hinweis will ich mir erlauben« , fuhr NuNdUuN fort, »einen kleinen Einblick dir gestatten in das Themenfeld der Vorhersagbarkeit . Oder nein – lass es mich als Frage formulieren, als Quizfrage, wenn du so möchtest, mit einem hohen, zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht näher spezifizierten Einsatz. Diese Frage lautet ganz einfach: Als du eine Zeitreise machtest, siebzig Jahre zurück, um dort Zeuge des Geschehens von Hinterkaifeck zu werden – welcher NuNdUuN war es dort eigentlich, dem du den Heimkehrer Anton Krantz entgegengeschickt hast und mit dem du dich am Ende so angeregt unterhalten hast? War das dieser NuNdUuN hier, der von heute – oder war es der NuNdUuN von vor siebzig Jahren? Denk doch bei Gelegenheit vielleicht einmal ein kleines bisschen darüber nach. Dann wird dir vielleicht auffallen, welche Bedeutung diese Frage hat.«
    Nicht denken jetzt, nur atmen, einfach, leicht, nicht ein kleines bisschen darüber nachdenken jetzt, worüber eigentlich, so ein Tag, so wunderschön

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