Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
folgendes interessantes Problem nach sich ziehen würde: Wenn Punkt sieben schon illegitim zuerkannt wurde – müssten dann eigentlich nicht alle danach erworbenen Punkte, namentlich die Nummern acht bis vierzehn, neuerlich aberkannt werden?«
»Was soll das? Ich verstehe nicht die Bohne.«
»Vielleicht solltest du dir einen Anwalt nehmen. Einen guten Anwalt, der mit dem Regelwerk der Unparteiischen hervorragend vertraut ist. Es könnte nämlich durchaus sein ... dass es jetzt im Augenblick nicht vierzehn zu zwei steht, sondern nur sechs zu null, weil alles Gestrampel seit der Mellentin-Geschichte ganz vergebens war, auch das hier des heutigen Tages. Es sei denn natürlich, das heutige Gestrampel zählt doch, weil ich die Löschung bereits vor dem heutigen Tage beantragt und vor dem heutigen Tage durchgeführt habe, was bedeuten würde, dass es jetzt sechs zu eins steht. Und wenn es nun sechs zu eins steht, mein Freund, ich hoffe, du kannst mir noch folgen – dann wird es nach den beiden Manifestationen, zu denen du dich gerade eben unvorsichtigerweise hast hinreißen lassen, sechs zu sieben stehen. In anderen Worten: sieben zu sechs für mich und das Fließ. In wiederum anderen Worten: Ende des Spiels. Und ein letztes Mal umformuliert: Holocaust. Ich habe zu danken.« NuNdUuN deutete tatsächlich eine spöttische Verbeugung an.
Hiob hatte das Gefühl, auf einer sich drehenden Tanzfläche zu stehen.
»Das ist ein ... völlig hirnrissiger Bluff. Darauf falle ich nicht einen Augenblick lang rein.«
»Das ist mir völlig gleichgültig« , meinte NuNdUuN liebenswürdig. »Für mich zählen nur die Regeln, nicht, ob mein Gegner sie verstanden hat.«
Breitbeinig stand Hiob da, um auf dem nassen Damm nicht abzurutschen, irgendwohin, wo es kalt und dunkel war. »Das ist ein völlig hirnrissiger Bluff«, konnte er nur wiederholen. »Du bist wahrscheinlich sauer, weil dir all deine mühsamen Prognostica immer nur ’nen popeligen Einzelpunkt einbringen. Für dich ist das wenig, stimmt’s? Du träumst davon, träumst feucht davon, einmal satte Ernte einzufahren. Einmal nur, und sei es auch durch eine Umdeutung der Regeln.« Er kriegte wieder ein höhnisches Gesicht hin. »Mann, ist das eigentlich armselig. Der Fürst des großen Fließes entpuppt sich als kleinkrämerischer Winkeladvokat.«
»Ich bin alles, was du willst, und alles, was du fürchtest. Und ja: Natürlich bin ich in dieser mittelmäßigen Charade, die du ›das Spiel‹ nennst, der Böse. Aber darin bin ich immerhin gut. Im Gegensatz zu dir.«
So viel Wahrheit hing an diesen Worten, dass Hiob hätte schreien können, mehr Wahrheit, als dem Teufel jemals zugestanden worden war. Aber dann wiederum war NuNdUuN ja nicht einfach nur der Teufel – er war auch Gott. Er war alles, was unangreifbar war und geistig. Und wieder zuckte die schlampig hingekrakelte Notiz durch Hiobs Hirn, diese Eingebung, die aus dem Nichts gekommen war:
Wenn NuNdUuN nicht mehr da wäre
wäre sein Nachfolger dann schlimmer oder besser für mich?
Wie viel von dem, was Nicole Mellentin, Stefania Menaghi und Hiob Montag erdulden mussten, kam aus dem Fließ, und wie viel davon direkt von NuNdUuN, aus dem Geist eines einzelnen Monsters, welches begabt und groß genug war, schon seit Jahrtausenden den schwerstumkämpften Thron, den es je gab und geben wird, zu halten? Wie viele Spieler hatte dieser Fürst verschlissen? Wie viele im Vergleich dazu seine Vorgänger? Wieder wurde Hiob unangenehm bewusst, dass selbst seine zweijährige Klausur in der Familiengruft ihn nur ungenügend auf die historischen Dimensionen des Spielens vorbereitet hatte. Die verzerrten und mit den unvorstellbarsten Flüssigkeiten geschriebenen Folianten hatten die Wahrheit enthalten, dass es NuNdUuN gab, und dass es das Spiel gab, und wie man Kontakt aufnehmen konnte, und wie und warum das Wiedenfließ beschaffen war und die Unparteiischen sich davon losgelöst hatten. Aber wer NuNdUuN eigentlich war, woher er kam, auf welche Weise er zu dem geworden war, das er jetzt repräsentierte – all dies fehlte unverzeihlicherweise völlig. War anfangs auch nicht so wichtig erschienen. Erwies sich zunehmend als Schlüssel zum Gesamtkomplex.
Oder aber – auch dieser Gedanke kam Hiob kurz – er selbst bildete sich das nur ein. Versuchte, dem Grauen ein Gesicht und einen Namen zu geben, um Bewältigbarkeit vorzutäuschen. Einen Sündenbock vorweisen zu können, wenn er selbst versagt hatte.
Es gab eine Möglichkeit, so
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