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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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ertappe ich mich immer öfter dabei, wie ich das Phantasieren anfange.
    Könnte ich nicht leben wie der Highlander, nur dass ich mein Mädchen nicht verwelken sehen muss, sondern dass sie mit mir ewig jung bleibt? Solange das Spiel läuft, kann mir keine herkömmliche Todesart etwas anhaben. Auch das Alter nicht. Diese Klausel haben die Unparteiischen ins Regelwerk integriert, um zu verhindern, dass NuNdUuN jedes Spiel gewinnen kann, indem er einfach sagt: »Okay, Junge, dein erstes Prognosticon hast du ja prima unter Kontrolle gehabt. Das nächste schicke ich dir dann in – sagen wir mal – sechzig Jahren vorbei. Mal sehen, wie gut du dich dann noch unter Kontrolle hast.«
    Wie der Highlander bin zwar auch ich nicht unsterblich – weiße Schokolade kann mich killen, und jedes Prognosticon, jede Manifestation, Inundation oder was auch immer aus dem Fließ kann es auch, und nach neuesten Andeutungen meines Großvaters vermute ich, dass auch auf Erden noch ein paar Magier und Nachlassverwalter herumlaufen, die die Macht hätten, es zu tun – aber im Gegensatz zum Highlander muss ich mir wenigstens meine Zeugungsfähigkeit nicht erst erkämpfen. Ich könnte NuNdUuN hinhalten, sagen: »Ist ja gut, Alter, aber jetzt sei brav und lass uns für die nächsten zweihundert, dreihundert Jahre mal in Ruhe, okay?«, und mir in der Zeit mit Widder als Mami irgendwo an einer wildromantischen irischen Küste meine eigene Addams-Family-Armee heranzüchten.
    Aber immer, wenn ich lächle bei solchen Gedanken, regt sie sich wieder, diese empathische Empfänglichkeit für alles Üble, die mir meine Kindheit verschissen hat, die aus mir das Wrack gemacht hat, das es in muffigen Gruften mit tentakelbewehrten Dämonen treibt, und die von feinsinnigeren Geistern, als ich einer bin, vielleicht auch einfach nur als Gewissen bezeichnet wird, und mir wird dann wieder klar, dass das Spiel nicht erfunden wurde, um mir persönlich einen angenehmen Lebensstandard zu ermöglichen, sondern dass ich es auf mich genommen habe, der Messias zu sein, Diener aller Völker, und dass ich Krieg führe und kämpfe mit der Hölle, in der Hölle, und als Hölle. Und alle Illusionen von Glück zerplatzen als stinkende Sumpfgasblase, und ich weiß wieder, wo und wer ich bin.

Ein kurzer Exkurs über Paranoia.
    Wenn das Wiedenfließ nicht stofflich ist
    also alles ist, was nicht stofflich ist
    also Gedanken ist
    kann ich dann jemals mit einer List Erfolg haben?
    Wenn eine List, ein Plan, ein Hinterhalt, ein gescheiter Gedanke, eine Idee, eine Inspiration automatisch Wiedenfließ ist, da nicht stofflich – erfährt dann nicht das Wiedenfließ alle meine Pläne als Teil von sich in dem Moment, wo ich sie denke?
    Oder – noch paranoider:
    Wenn alle Gedanken nicht stofflich sind, sind sie dann nicht ohnehin schon Wiedenfließ, das heißt: Kommen sie nicht alle von dort? Sind meine Gedanken also gar nicht meine Gedanken, sondern in Wirklichkeit die Essenz meines Feindes, die durch mich – meine Umsetzung dieser Gedanken-Essenz – in die Welt kommt, die Materie-Welt?
    Bin ich, sind wir alle, die Bestätiger des Wiedenfließes? Wie Madame Oradour mir gegenüber einmal andeutete, und wie alle Philosophen meinen, die behaupten, die Götter hörten auf zu existieren, wenn niemand mehr an sie glaubt.
    Und jetzt, Mesdames et Messieurs: Paranoia im Quadrat.
    Muss ich, um den Teufel jemals schlagen zu können, aufhören zu denken?
    Ein Tier werden, ganz Reiz-Reaktions-Instinkt, und dann aber doch wieder anders, um nicht zu berechenbar zu sein, ein zufallsgeneriertes Tier, ein Cyborg-Mr.-Hyde mit Fuzzy-Logic, ein über allem Intellekt stehendes multidimensionales mathematisches Paradoxon?
    Nicht unmöglich, in der Magie, möchte man sagen.
    Aber da ich diese Idee gerade eben gedacht habe, kennt mein Gegner sie jetzt schon und kann schon jetzt die Gegenmittel entwickeln für den fernen Tag, an dem ich so weit bin.

Als ich dem Teufel das erste Mal begegnete, hatte er Ähnlichkeit mit Jesus Christus.
    Die langen Haare, der Bart, die markanten Gesichtszüge und die ausdrucksvollen Augen – all dies entsprach der Jesus-Ikonenküche, mit der Christentum und Hollywood uns seit Kindesbeinen mästen. Allerdings war NuNdUuN nicht ganz der »Lasset die Kinderlein zu mir kommen«-Heiland des Lukasevangeliums, eher der bis an die Zähne bewaffnete Armageddon-Heerführer-Gottessohn der Johannesoffenbarung. Er trug eine absurde Rüstung aus flüssigem Perlmutt und lebenden Käfern, die

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