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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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anvertrauen.«
    »Das natürlich nicht, er darf nicht in dritte Hände gelangen. Aber das meinte ich eigentlich nicht, das hatte ich stillschweigend vorausgesetzt. Was ich wirklich meinte, ist: Du musst vorsichtig mit dem Bären umgehen.«
    »Mit dem Teddybären?«
    »Mit dem Teddybären.«
    »Vorsichtig umgehen.«
    »Vorsichtig umgehen.«
    »Klar, mach ich.«
    »Gut.«
    Moritz Wagsal begleitete den etwas irritierten Hiob mit freundlichem Rückenklopfen bis zur Tür, Hiob lavierte mit der Hutschachtel in Händen hindurch und wurde eins mit dem patinierten Oktoberlicht.
    Zwei Telefonate von einem öffentlichen Kartentelefon waren der nächste Schritt. Beim ersten erreichte Hiob Kambers maniakalischen Anrufbeantworter und wies ihn an, dafür zu sorgen, dass übermorgen Abend das Vororthaus von Neriman Ince von jeglichen Gespielinnen und ähnlichen die Konzentration störenden Elementen freizuhalten sei, weil dann der große Exorzist Montag den großen Exorzismus durchführen wolle. Der zweite Anruf galt einem preiswerten Reisebüro, das ein Hin- und Rückflugsticket nach London organisierte, hin schon heute Abend, zurück übermorgen Vormittag.
    Hiob beschloss, überhaupt kein zusätzliches Gepäck mitzunehmen. Das würde es ihm erleichtern, die Hutschachtel als Handgepäck zu deklarieren. Außerdem musste er sich innerhalb von nicht mal 40 Stunden nicht unbedingt umziehen.
    Die Stunden des Tages, die ihm bis zum Abflug noch blieben, nutzte er dafür, sich durch eine verschrobene Schräge-Ebenen-Balancemeditation auf dem Energieleiter-Bogen vor der Urania auf den sicherlich nicht ausbleibenden Traumzeit-Jetlag vorzubereiten.
    Fliegen ist teuer und macht so eine Art Gaskammer aus dem Globus, aber wenn Hiob dem ganzen ökologischen Aberwitz eines Tages ein Ende setzen wollte, durfte er bis dahin nicht in Birkenstock-Schlappen durch die Gegend latschen. Der Zweck heiligt selbst die Brechmittel. Außerdem traute er dem Kanaltunnel nur eines zu, nämlich ein erstklassiges Hochdruck-Aquarium abzugeben.
    So schwebte er also vom Himmel her über Heathrow ein. Der Flug hatte kaum länger als eine Stunde gedauert, die Warteschleife wegen Nebels dann noch mal halb so lang. Weltstädte und ihre Klischees sind so eine Sache. Wenn du in New York angetan mit einem Business-Suit und mit einer Champagnerflöte in der Hand nachts allein und angesäuselt durch den Central Park torkelst, kannst du mit ziemlicher Sicherheit das Klischee von der New Yorker Gewaltkriminalität live erleben. Wenn du in Paris einem arbeitslosen Musiker recht viele Francs in die Hand drückst, kriegst du sogar Musette-Musik unterm Eiffelturm zu hören. Aber wenn du im Oktober nach London fliegst, kriegst du den ganzen Edgar-Wallace-Scheiß völlig umsonst.
    Die Luft war eine gleichberechtigte Mischung aus Regen, Staub und Dampf und hatte in etwa die Konsistenz von Reispapier. Im Ersten Weltkrieg hatte man Regenimprägnierung noch nicht so hinbekommen, deshalb hing Hiobs Mantel bald an ihm wie drei Ertrunkene, aber er kämpfte sich trotzdem trotzig durch die etwas unübersichtliche ÖPNV-Situation und die von angriffslustigen Pakistani-Banden beherrschten Suburbias von Hounslow und Richmond. In einem Hotel im Eastend, das ein wenig wie eine optische Täuschung aussah, checkte er ein, deponierte die wertvolle Hutschachtel unter dem Bett und stürzte sich in seine Vorstellung von Nachtleben, die aus zwei Programmpunkten bestand. Er kaufte einem indischen Straßenverkäufer eine schwarze Rose ab und suchte den ehemaligen Miller’s Court Nummer 13 auf, das heißt, die Adresse im mittlerweile weit gehobenen Büro- und Versicherungsviertel Commercial/Crispin Street, die in etwa dort lag, wo die Miller’s Court 13 vor hundert Jahren gewesen war. An der historischen Stelle legte er die schwarze Rose nieder, in stillem und respektvollen Gedenken an Marie Kelly, die hier im Jahre 1888 von einem Individualisten dem Wiedenfließ in einer Art zum Opfer gebracht worden war, die Joseph Mengele fünfzig Jahre später vergeblich zu reproduzieren versuchen würde.
    Danach begab sich Hiob in die Kellergewölbe eines Clubs namens Zweat, wo Jungle, Intelligent Techno und TripHop sich zu einer trübsüßen Melasse verbanden und wo er in einem Hinterzimmer einen Mann kontaktierte, der manchmal auf den Namen Element hörte und mit seinen großen Zähnen, kleingeblunteten Augen und den zu einem gewaltigen amphorenförmigen Dutt verflochtenen Dreadlocks fast wie etwas von Giger aussah.

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