Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
verließ den Ort des Geschehens für eine Weile, bis er in einem Unterstand neben der Friedhofsgärtnerei einen Spaten gefunden hatte, und kehrte dann zurück, unter dem verschleierten Mond die Silhouette eines alten Leichenräubers gebend. Schippend half er dem Großmeister, der schon jetzt vor Enttäuschung oder vor Schande kaum noch Kraft hatte, bei der Rückkehr. Durch den zersplitterten Sargdeckel ließ der Leichnam sich ins frische Loch plumpsen, wand sich zitternd da unten wie ein Gefolterter in Fesseln. Hiob harkte ein paar geschwürüberwucherte Innereien hinterher, bemühte sich auch, den Faulschleim und die Exkrementenspur aufzunehmen und hinabzuwerfen, bevor er den ausgehobenen Erdhaufen wieder abtrug, einfach auf den sich noch immer bewegenden Byhn hinabschob und -schaufelte. Zuletzt trat er die Erde fest, um den Ursprungszustand wiederherzustellen, so gut das möglich war, und drapierte auch die bei der Tarnung jetzt ganz nützlichen Blumengebinde wieder wie vorher. Dann brachte er den Spaten zurück.
Da er keine Lust hatte, sich noch mal auf die gefährliche Zaunkletterei einzulassen, beschloss er, auf dem Friedhof zu schlafen, bis das Tor am Montagmorgen offiziell wieder eröffnet würde. Er löschte die Laterne, packte sie und den Spiegel wieder in die Tasche und schlich über die dunklen Gräberfelder, bis er weiter hinten im Gelände ein zum Abbruch bestimmtes kleines Mausoleum fand, auf dessen einer noch vorhandener Trauerbank er es sich so bequem wie möglich machte.
Er lag noch eine Weile wach. Die Zahnschmerzen waren wieder da, die Katarrhfaust buckerte wieder hinter seiner Stirn.
Er konnte sich noch gut erinnern an den Moment, als er seine zweijährige Klausur angetreten hatte, an den Augenblick, als sich die Tür des Gruftgebäudes für zwei nur durch vollmondliche Nackttänze unterbrochene Jahre geschlossen hatte. Die Gruft war ihm wie ein Refugium erschienen, wie ein strahlensicherer Bunker am Tag vor dem berühmten Tag danach. Draußen war es nicht mehr auszuhalten gewesen, dauernd hatte Hiob Schmerzen gehabt, hatte nachts fiebrige Heulkrämpfe gekriegt, wenn gerade wieder irgendwo im Nahen Osten irgendein sinnloses Massaker stattfand, war speiend zusammengeklappt, als Kontinente entfernt ein vollbesetztes Linienflugzeug zerschellt und detoniert war. Die Druckwelle des Tschernobyl-Späßchens hatte ihn auf offener Straße von den Füßen gerissen, so heftig, dass er dabei einen Schuh verloren hatte. Das Verklappen von Dünnsäure in den Nordmeeren hatte ihm an den Oberschenkeln einen übel juckenden Ausschlag beschert, der immer mit einer stinkenden Creme eingeschmiert werden musste. In der Gruft, im Grab, war Ruhe. Der brutale Destruktivismus der Welt hatte ihn nicht mehr erreichen können. Es war, als hätte man einen Schutzschild zwischen Hiob und der Scheußlichkeit unserer Welt geschoben. Die Beharrlichkeit, mit der sich Wilhelm Byhn aus seinem Sarg emporgekämpft hatte, um in unsere scheußliche Welt zurückzukehren, ließ Hiob schlussfolgern, dass Byhn, bei allem Intellekt, wohl doch ein paar fundamentale Dinge über den Tod und besonders das Leben gründlich missverstanden hatte.
Ein solches Missverständnis war nichts weiter als Schwäche, und nur für Schwäche verdiente eigentlich niemand eine allzu harte Strafe. Hiob konnte zwar hoffen, dass NuNdUuN dem armen Teufel in seinem Grab bald gestatten würde zu sterben, zumindest, bevor die Würmer kamen und der Schimmelpilz, aber Hiob kannte NuNdUuN. Es würde zu dem Fürsten passen, wenn er es Jahre dauern lassen würde.
Das Leben würde weitergehen, für die Witwe, für Hellberger, für Hardy, Zante und Hiob selbst, und sechs Fuß unterhalb dieses Lebens träumte ein Toter vom Sterben.
Es würde auch nichts nützen, ein gutes Wort einzulegen.
Die Zahnschmerzen waren die Hölle.
Prognosticon 9: Ruprechtsnacht
Drauß a Baam mit
vierazwanzg
Elektrokerzln
oba drinn
koa oanzigs Läicht
(Friedrich Brandl)
Onck.
Ein kurzes, hartes Geräusch mit einem kaum wahrnehmbaren Rascheln dazwischen. Letzteres nur, weil zwischen den Gewehrkolben und die Schläfe ein paar Haare geraten sind.
Stöhnend kippt der Langhaarige mitsamt seinem Stuhl seitlich um, Apfelstücke sprühen zerkaut zwischen seinen Zähnen hervor. Schwer schlägt er auf, poltert über den dunklen Holzboden. Thilo Sarpat reißt das Gewehr in den Anschlag, dass die Mündung auf den am Boden Liegenden zeigt, und schreit:
»Reisig, ja?! REISIG!!!«
Es ist
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