Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
los, auch um dem spitzfindigen Genörgel zu entgehen. Er wünschte, das Jagdgewehr, das sich in der Hütte befand, wäre jetzt hier in seinen Händen, schließlich konnten es ja auch Bankräuber oder Terroristen oder so was sein, die jetzt seine Hütte mit Beschlag belegten. Geduckt hechelte er bis zur Hüttenwand hin, unterwegs nur einmal ausrutschend und in den Schnee tauchend. Vorsichtig schmiegte er sich seitlich an eines der dickglasigen Fenster und konnte innen in der guten Stube einen langhaarigen Gammler in einem uralten Mantel ausmachen, der gerade ohne zusätzliche Beleuchtung in einem miserabel geschichteten Kaminfeuer herumstocherte, mit Thilos Scheitgestänge in Thilos Kamin in Thilos Hütte herumstocherte, und das an Thilos Weihnacht ! Heiliger Zorn erfüllte ihn. Die Eingangstür wies keinerlei Beschädigungen auf, der Penner musste wohl mit einem Dietrich gearbeitet haben. Na warte, Bursche, dachte Thilo, mit dir feg ich die gute Stube. Andererseits hatte der Typ vielleicht eine Waffe, war auf Drogen oder hatte AIDS, man konnte ja nie wissen, woran man bei solchen Leuten war. Besser vorsichtig sein, dachte Thilo kaufmännisch, besser mit Nick zusammen reinstürmen.
Geduckt und sich wieder nur einmal flachlegend bahnte sich Thilo einen geschossunfreundlichen Zickzackkurs zurück zu seinen Schutzbefohlenen und erstattete Rapport, nachdem er Nils’ Eisballtreffer in seinem Gesicht nasenblutend verdaut hatte. Friederike kümmerte sich keinen Deut um ihn, bekam aber wieder dieses mütterliche Ausgesetzte-Hundebaby-Beben in der Stimme, als Thilo von dem Penner erzählte. »Thilo, wie weihnachtlich «, strahlte sie, »das ist wahrscheinlich ein Obdachloser, der sich vorm Erfrierungstod in die Hütte gerettet hat. Es ist unsere christliche Nächstenpflicht, ihm in dieser besonderen Nacht eine Obhut zu bieten.« Für einen Moment sah Thilo Sarpat seine Frau in einer Quäkertracht mit Quäkerhäubchen neben Richard Widmark auf einem Western-Planwagen sitzen, dann dachte er wieder kurz an das Jagdgewehr, dann schüttelte er sich und entschied: »Wir gehen jetzt alle zusammen hin und kriegen raus, was Sache ist. Wenn der Typ ein Dieb ist, schmeißen wir ihn raus; wenn er das heulende Elend ist – mal sehen.«
Es dunkelte zusehends, das Feuerlicht in der verschneiten Hütte bekam diesen ganz speziell weihnachtlichen Lockstoffcharakter, der selbst harte Burschen mürbe macht und an Frohe Feste bei Muttern denken lässt. Als sie an der Tür waren, hatte Thilo schon fast keine Lust mehr, den Penner zu vertrimmen.
Immerhin hatte er die Bude schon mal angeheizt. Trotzdem. Recht musste Recht bleiben, der Besitzstand musste geklärt sein. Eine Lektion hatte der Fremde mindestens verdient.
Der Schlachtplan war schnell abgesprochen: Friederike und die Kinder gingen zu einem der Fenster, klopften dort und lockten die Aufmerksamkeit des Einbrechers in diese Richtung, während Thilo und Nick durch die Tür kamen und ihn überrumpelten. Auf ging der Plan aber nicht so richtig. Der Fremde quittierte das Klöpfeln und Kratzen und Wispern von Kinderstimmchen am Fenster mit dem rätselhaften Ausruf »He, seid ihr meschugge? Es ist doch noch gar nicht Nacht!« und bastelte weiter am Kamin herum, während Thilo und Nick die Tür nicht aufkriegten, weil irgendwas Schweres dahinterstand, und als sie es endlich mit vereinten Kräften übereinanderfallend geschafft hatten, den die Tür barrikadierenden Schrank weit genug zu verschieben, starrten sie mit weit aufgerissenen Augen in die Mündung von Thilos eigenem Jagdgewehr. Der so bewaffnete Einbrecher war vorm flackernden Feuer jetzt nur als bemäntelte Silhouette mit langen, zausigen Haaren auszumachen. Eine ziemlich, wie Thilo fand, unweihnachtlich bedrohliche Situation.
Als Friederike und die schneeverkrusteten Kinder auch durch die Tür ins Warme drängten, ließ der Fremde das Gewehr sinken und sagte: »Scheiße, was seid ihr für Leute? Ist euch eigentlich klar, dass ich euch gerade beinahe erschossen hätte?«
»Ob uns klar ist ...?«, schnappte Thilo, und der heilige Kaufmannszorn regte sich wieder. »Sie sind der Unbefugte hier! Das ist unsere Hütte! Und das ist mein Gewehr!«
»Das Gewehr gehört dir doch gar nicht, Schatz«, bemerkte Friederike. »Das gehört zum Inventar.«
»Ist doch scheißegal!«, brüllte Thilo so laut, dass die Kinder erschraken. Es fiel ihm leichter, seine Angetraute anzuschreien als den bewaffneten Fremden.
Der Fremde seufzte. »Hören
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