Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
ist er. So muss ich ihn nehmen.«
Ah betrachtete den seltsamen Berliner, dachte sich selbst einen Sinn in seine Worte. Als er sie ansah, vor der Eingangstür des Restaurants, lächelte sie wieder.
»Ich danke dir, Ah. Eines Tages werde ich es wahrscheinlich mit einem Chinesen namens Shiu-Sen-Tsiao zu tun bekommen. Vielleicht kann ich dann wieder deine Hilfe brauchen.«
»Sie wissen ja, wo Sie mich finden können.« Dabei blieb es für jetzt. Er begleitete sie nicht mehr hinein.
Halb vier, sagte ihm eine freundliche Juwelier-Uhr. Noch etwa achteinhalb Stunden. Immer noch keine echte Idee. Aber mittlerweile doch wenigstens eine Art von Ahnung. Eine Ahnung, wie man diesen Wiedergänger nehmen musste. In seiner Hosentasche fand Hiob zerstreut den Schlüssel zu Byhns Arbeitszimmer. Mist, aber nicht mehr zu ändern. Hiob überlegte kurz, ob er nicht doch eines Tages dort einbrechen sollte, um an die Bücher zu kommen, aber dann führte er den Schlüssel sorgfältig in einen Gullyrost rein. Wozu brauchte ein Magier schon einen Schlüssel, um irgendwo einzubrechen.
Hiob fuhr nach Hause. Er schrieb sich die Weisheit des Zen-Meisters auf die leere Rückseite einer Erdgasrechnung und vertiefte sich darin. Müde wurde er dabei und regelrecht schläfrig, und alles, was dabei herauskam, war die Erkenntnis, dass er seine Ahnung wohl oder übel zur Marschroute ausbauen musste, denn außer dieser Ahnung fiel ihm nichts mehr ein. Und die Ahnung wiederum sagte ihm nur eines: Diesem Problem konnte man nicht mit Gewalt begegnen. Es hatte keinen Sinn, mit einer bezauberten Handgranate oder kleinen flammenden Drudenfüßen oder einem Weihwasserwerfer gegen diesen Wiedergänger vorzugehen. Er musste es ruhig tun, kontemplativ wie ein Zen-Buddhist, sanftmütig wie der Freund und Schüler, der er dem Toten gewesen war. Er musste Byhn die letzte Ehre erweisen.
Da er sich mit seiner Zeitberechnung ja nicht so hundertprozentig sicher sein konnte, beschloss er, schon bei Einbruch der Dunkelheit aufzubrechen. Er hängte den holzumrahmten Spiegel ab, der bei ihm im Flur hing, stopfte ihn mitsamt einer stabilen Laterne, zwei Schachteln Streichhölzer und einem Winterpullover in eine ausgebeulte alte Trainingstasche, warf sie sich über die Schulter und machte sich auf den Weg. Es kam ihm so vor, als würde er zum hundersten Male an diesem Tag U-Bahn fahren, und jedes Mal hatten die Mitfahrer gleich ausgesehen.
Graupeliger Nieselregen summte leise durch die dunkelrote Dämmerung, als Hiob am hohen Friedhofszaun anlangte. Durch den Regen waren die Gitterstäbe rutschig; Hiob klimmte, keilte und stemmte sich hoch. Oben blieb er mit dem Taschengurt an einer Zacke hängen, aber es gelang ihm im letzten Moment, ein trauriges Ende als Erhenkter zu umgehen und den Gurt an der Karabiner-Öse zu lösen. Verschwitzt rumpelte Hiob auf der Innenseite des Geländes ins Gras und blieb erst mal liegen. Nichts rührte sich. Weder draußen noch drinnen hatte ihn jemand bemerkt, und die unten konnten nicht mehr lachen. Er nahm die Tasche auf, schloss den Gurthaken wieder und stiefelte in der verfänglicher werdenden Dunkelheit zum frischen Grab des Großmeisters.
Dort begann das Warten. Die Ausdünstungen der aufgeworfenen Erde, der paar frischen Blumengebinde und der alles umgebenden Rasenflächen mischten sich mit denen von modrigen Grabpflanzen und brackigem Wasser in Plastikvasen. Friedhofsgeruch war fast heimatlich geworden für Hiob, nachdem er zwei Jahre in solcher Umgebung gelebt hatte, aber dennoch hatte jedes Gräberfeld seinen ganz eigenen Charakter. Einigermaßen wind- und regengeschützt unter den ausladenden Zweigen einer fast schwarzrindigen Ulme sah Hiob der Sonne beim Verrecken zu, zog sich den Pullover über, drapierte Spiegel und Laterne neben sich in Griffnähe und legte sich die passenden Worte zurecht.
Stunden vergingen. Das Dunkel der Nacht war wie ein chloroformgetränkter Lappen über Mund und Nase der Stadt. Wie die blitzelnden Sterne oben flammten hier und da Lichter in Fenstern auf und verloschen wieder, weil das Leben hinter ihnen nur auf Durchreise war.
Hiob vertrat sich die Beine, pisste dampfend gegen ein protziges Messingkreuz und hielt sich mit Armkreisen und Rumpfbeugen warm und wach. Die letzten beiden von Byhns biblisch verkündeten Special Effects blieben nicht aus, als die Mitternacht vorüberwehte: Der Mond konnte seinen Schein nicht mehr geben, weil eine undurchdringliche Wolkenformation unter ihm dahinkeuchte, und
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