Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
schließlich auch einen Kuli, schrieb den Text vom Display ab und notierte sich die Empfangszeit. Er fragte nach der Handy-Nummer von Fabri und schrieb auch diese auf. Man könne diese SMS gewiss zurückverfolgen, erklärte er, aber er verspreche sich nicht viel davon, wahrscheinlich würden sie wieder bei diesem anonymen Telefonino landen. Interessant sei nur, ob sein Vater immer noch in Turin weile.
Fabri klappte das Handy zu und steckte es wieder in sein Hemd. »Und nun?«, fragte er.
»Und nun?«, wiederholte Viberti. »Nun können wir uns wieder über Wein unterhalten.«
»Und was ist mit meinem Vater?«
»Was soll mit ihm sein? Ihm geht es offenbar gut, er hat beneidenswerterweise mindestens eine Freundin, er war oder ist in Turin, er hat kein Verbrechen begangen. Sie und Ihre Mutter, Sie machen sich Sorgen, das kann ich verstehen, aber dafür sind nicht die Carabinieri zuständig. Wir sind ein freies Land.«
»Mein Vater kann also einfach zur Tür hinausgehen und nicht wiederkommen?«
»Natürlich kann er das. Aber ich denke, er wird wiederkommen, er hat schließlich nur von einer Pause gesprochen. Außerdem dürfen Sie sich freuen, offenbar traut er Ihnen zu, dass Sie die Geschäfte alleine führen können. Das ist heutzutage nicht selbstverständlich.«
Fabri riss von einem Rebstock ein Blatt ab und rieb es nachdenklich zwischen den Handflächen.
»Wenn ich das nächste Mal in Asti bin, kann ich ja bei dieser Carlotta vorbeischauen«, sagte Viberti.
»Um sie zu verhören?«
»Nein, natürlich nicht, aber ich kann ihr diskret einige Fragen stellen. Vielleicht hat sie eine Idee, wo sich Gianfranco aufhalten könnte.« Viberti hüstelte. »Außerdem könnte es sein …« Er unterbrach sich und rückte seinen Krawattenknoten zurecht.
»Was könnte sein?«
»Allora, wo jetzt Gianfranco nicht mehr bei ihr ist. Sie verstehen, was ich meine?« Viberti wirkte etwas verlegen. »Wie ich schon sagte, sie sieht sehr gut aus. Ich bin zwar mehr oder weniger glücklich verheiratet, aber ich denke, ich bin in einem Alter, wo auch ich …«
25
D as traditionsreiche Caffè Baratti & Milano* an der Turiner Piazza Castello war wie an jedem Nachmittag gut besucht. Im hinteren Eck des Jugendstilsalons hatten sie mit Glück noch einen freien Tisch gefunden. Sabrina trank Latte macchiato. Hipp stellte fest, dass er in den letzten Tagen fast süchtig nach Bicerin geworden war. Neben dem Tisch standen einige Einkaufstüten auf dem Boden, von Benetton und Calvin Klein Jeans. Dort hatte sich Sabrina mit den nötigsten Klamotten eingedeckt, schließlich war ihre Reisetasche ein Raub der Flammen geworden.
Nach dem Krankenhaus hatte Hipp Sabrina zunächst in die Villa Sassi* gebracht, ein ruhiges Hotel in den nahe gelegenen Colline, in dem er zwei Zimmer mit einer Verbindungstür reserviert hatte. Denn so viel stand fest, er würde in den nächsten Tagen so gut wie irgend möglich auf sie aufpassen. Der für Eva-Maria tödliche Unfall mit dem Auto, der nächtliche Besucher in Sabrinas Krankenzimmer, der vergiftete Tee von heute Morgen – irgendjemand trachtete seiner Schutzbefohlenen mit großer Beharrlichkeit nach dem Leben. Und es lag an ihm zu verhindern, dass der nächste Versuch erfolgreich war. Zugegeben, der Job gefiel ihm nicht, er war nun mal alles andere als ein Bodyguard, aber er konnte sich kaum aus dieser Verantwortung stehlen. Und schon beim Gedanken daran, dass Sabrina etwas zustoßen könnte, bekam er Bauchschmerzen.
Er war mit ihr übereingekommen, dass sie ihrem Vater nichts von alldem erzählten. Wer nach einer Herzoperation nicht fliegen durfte, sollte wohl auch sonst geschont werden.
»Wie soll’s jetzt weitergehen?«, fragte Sabrina.
»Ich sehe keinen Grund, unsere Pläne zu ändern«, antwortete Hipp. »Morgen fahren wir nach Mailand, dann in den nächsten Tagen ganz gemütlich über Franciacorta nach Venedig.«
»Die ›Gedächtnistour‹, von der du gesprochen hast?«
»Ganz genau, sozusagen eine Gedächtnistour auf den Spuren deiner Erinnerung. Wir werden Orte aufsuchen, an denen du nach Information deines Vaters schon mal gewesen bist. Dort werden wir versuchen, einige Türen zu öffnen.«
»Türen?«
»Ja, im übertragenen Sinn. Türen in deinem Gedächtnis, die derzeit verschlossen sind, hinter denen sich Räume mit Erinnerungen verbergen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir Erfolg haben werden. Die ersten Türen werden die schwersten sein, sie sind jene mit den massivsten
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