Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
stand, nickte bestätigend. »Sì, molto bene, der Sommer hat es bisher ausgesprochen gut mit uns gemeint, die Trauben haben die perfekte Größe, die Haut ist dünn, aber fest, die Farbe für diese Jahreszeit genau richtig, das Fruchtfleisch wird von Tag zu Tag saftiger und süßer. Wenn es der Himmel will, dann bekommen wir beim Barolo einen großen Jahrgang.«
»Ja, der Wein ist zuallererst ein Geschöpf der Natur, der Sonne und des Bodens«, sagte Viberti bedeutungsvoll und biss in die noch unreife Beere. Die Mütze hatte er unter den Arm geklemmt, die Uniformjacke aufgeknöpft und den Krawattenknoten gelockert. Der Tag war noch nicht weit fortgeschritten, aber schon legte sich eine bleierne Hitze über die Weinberge der Langhe.
Fabri sah den Maresciallo fragend an. »Aber Sie sind doch nicht nur deshalb gekommen, um mit mir über den Nebbiolo zu sprechen?«
Viberti wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Auch das gehört im weitesten Sinne zu meinen polizeilichen Aufgaben«, sagte er, wobei Fabri nicht klar war, ob er das wirklich ernst meinte. »Als Maresciallo«, fuhr er fort, »muss ich in meinem Bezirk über alles Bescheid wissen. Und was gibt es rund um Alba Wichtigeres als den Wein?«
Fabri lächelte. »Da haben Sie Recht, Maresciallo.«
»Natürlich muss ich auch über unsere Trüffel informiert sein und über die Haselnüsse.«
»Meine Mutter liebt Giandujotti.«
»Wer nicht?« Er schmatzte genüsslich mit den Lippen. »Meine Aufmerksamkeit gilt selbstverständlich auch dem Honig und den Pilzen.« Viberti machte eine kurze Pause, murmelte leise etwas von »Gnocchi con funghi porcini«, um dann unvermittelt das Thema zu wechseln. »Sie haben Recht, ich bin gekommen, um über Ihren Vater zu reden. Und ich bin sehr froh, dass wir das unter vier Augen machen können, inmitten dieser wunderbaren Weinstöcke.«
»Haben Sie eine Spur? Wissen Sie, wo er sich aufhält?«, fragte Fabri ungeduldig.
Viberti winkte ab. »Nein, da muss ich Sie leider enttäuschen, keine Spur. Aber wir haben einige neue Erkenntnisse.«
»Erkenntnisse?«
Viberti nickte. »Sì, Erkenntnisse, die vielleicht weniger für die Ohren Ihrer geschätzten Frau Mama bestimmt sind.«
»Wie das?«
»Wussten Sie, dass Ihr Vater eine Freundin hat?«
Fabri schaute Viberti ungläubig an. »Mein Vater? Eine Freundin? In seinem Alter?«
»Ja, warum nicht? Und zwar schon seit einigen Jahren. Sie heißt Carlotta Benedotti und lebt in Asti.«
»Carlotta Benedotti?«
»Sie ist Mitte dreißig«, sagte Viberti.
»Mitte dreißig? So jung?«
Viberti hob die Hände. »Natürlich. Welcher Mann nimmt sich freiwillig eine alte Freundin? Außerdem sieht sie gut aus, una bella ragazza. Gianfranco, dieser vecchio Casanova, er hat einen prima Geschmack.«
»Und bei dieser Carlotta, da ist er jetzt?«
»Nein, auch sie weiß nicht, wo er ist.«
»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«
»Vielleicht hat er eine neue Freundin, die noch schärfer aussieht?«
»Das ist Ihre Theorie?«
»Wäre doch möglich, oder? Jedenfalls verstehen Sie jetzt, warum ich mit Ihnen alleine reden wollte.«
»Ja, vielen Dank. Ich würde mir wünschen, dass meine Mutter nie etwas davon erfährt.«
»Warum sollte sie? Übrigens hat Signora Benedotti eine SMS von Ihrem Vater bekommen.«
»Sie also auch!«
Jetzt war es an Maresciallo Viberti, überrascht zu gucken. »Wollen Sie damit sagen …?«
»Ja, damit will ich sagen, dass auch ich von meinem Vater eine SMS bekommen habe. Davon hätte ich Ihnen noch berichtet. Was hat er dieser Carlotta geschrieben?«
»Ich zitiere aus dem Gedächtnis.« Viberti räusperte sich. »Carissima. Mir geht es gut. Mache Ferien. Muss über einiges nachdenken. Ich melde mich. Pass auf dich auf. Bacino. Gianfranco.«
»Kann man herausfinden, von wo diese SMS abgeschickt wurde?«
»Gute Frage. Ja und nein. Wir wissen, dass die SMS von einem telefonino con scheda prepagata in Turin abgeschickt wurde. Aber bei diesen Handys mit Prepaid-Karte ist kein Besitzer registriert.«
»Schade.«
»Wann haben Sie die SMS von Ihrem Vater erhalten?«
»Letzte Nacht, exakt um zwei Uhr elf.« Fabri nahm sein Telefonino aus der Brusttasche seines Hemdes, tippte auf einige Tasten und zeigte Viberti das Display.
»Caro Fabri«, las er. »Bitte verzeiht mir. Aber ich brauche eine Pause. Nimm Mamma in die Arme. Kümmere dich um das Geschäft. Ich liebe Euch. Bis bald. Il tuo Papà.«
Viberti suchte in der Uniformjacke nach seinem Block, fand
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