Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
Venedig. Seine Mutter hörte ihm dabei mit traurigen Augen zu. Dass sie schließlich im Danieli und in Harry’s Bar auf Gianfrancos Spur gestoßen seien, berichtete er. Auch dass sein Vater vor einigen Tagen überstürzt abgereist sei, vorgeblich, weil er einen Termin in Mailand habe. In Mailand? Da waren sie auch gerade gewesen, dachte Sabrina. Ein Zufall, der vielleicht keiner war und der sie wieder einmal schaudern ließ. Fabri verschwieg nicht, dass sich Gianfranco in Begleitung einer jungen Blondine befunden hatte. Sabrina blickte zu Luciana, die keine Regung zeigte.
Einer spontanen Eingebung folgend, bat Sabrina um das Photo, mit dem Fabri und seine Mutter in Venedig nach Gianfranco gesucht hatten. Sie hielt den Atem an, als sie das Bild entgegennahm. Aber der Mann, der sie anlächelte, wie sollte es anders sein, sie konnte sich nicht an ihn erinnern. Obwohl, der Blick hatte etwas Vertrautes, und doch auch wieder nicht. Gianfranco sah jünger aus, als sie erwartet hatte. Seltsam, der Mund kam ihr bekannt vor. Nach kurzer Anspannung wusste sie, warum. Sie musste nur zu Fabri hinübersehen, er war seines Vaters Sohn. Ob Eva-Maria mit Gianfranco ein Verhältnis gehabt hatte? Vielleicht nachdem sie Giovanni zurück nach Castellina geschickt hatte? Möglich wäre es, manche Frauen standen auf reife Männer. Und was war mit ihr? Nein, da glaubte sie sich plötzlich hundertprozentig sicher, sie würde es spüren, wenn sie mit diesem Mann auf dem Photo je intim gewesen wäre. Das waren Erinnerungen, die waren nachhaltiger als eine Unterschrift.
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E igentlich war es rund um die Fattoria des Dr. Lausitz heute eher ungemütlich, denn von Norden fegte ein scharfer Wind über die Weinberge bei Montalcino. Der Tramontana rüttelte an den Fensterläden, riss von der alten Pinie neben dem Brunnen einen morschen Zweig, versuchte vergeblich, die noch unreifen Oliven aus den Bäumen zu schütteln, unterzog die Zypressen einem erstaunlichen Biegetest. Wie ein modernes Ballett wiegten sie sich synchron in den Böen. Das hatte nach Dr. Lausitz’ Eindruck immerhin großen ästhetischen Reiz. Er verband mit den Winden der Toskana gemischte Gefühle. Er fand es sympathisch, dass sie alle Namen trugen und von ihrer Herkunft zeugten wie gute alte Bekannte, die immer wieder mal zu Besuch kamen, fast immer unangemeldet, oft lästig, meist blieben sie zu lange und gelegentlich hinterließen sie eine Spur der Verwüstung. Gewiss, der Tramontana war im Sommer wegen seiner trockenen Luft gar nicht mal unangenehm, aber im Frühjahr brachte er Spätfröste und stellte für die Reben im Weinberg eine Gefahr dar. Außerdem erhöhte sich mit ihm die Feuergefahr. Und im Herbst sowie im Winter, da war er eine ziemliche Zumutung. Als Gegenspieler des Tramontana galt der Scirocco, ein südöstlicher Wind, der aus Afrika warme, klebrige Luft heranführte. Wie im Treibhaus fühlte man sich dann. Und zum Abschied hinterließ der Scirocco meist Regen und spülte Saharasand auf die Reben. Auch nicht gerade das, wonach sich ein Winzer sehnte. Während es der trockene Maestrale, aus dem südlichen Frankreich kommend und an den Mistral erinnernd, meist nicht so richtig bis Montalcino schaffte, konnte der Libeccio recht heftig ausfallen. Er kam aus Südwesten von Libyen über das Meer, und wenn er Regen vor sich herpeitschte, dann zeigte sich, dass die Fenster an der Südfassade seines Hauses alles andere als dicht waren und dringend renoviert werden mussten. Und auf den Grecale, der bevorzugt im Herbst und im Winter zuschlug, auf diesen Ostwind konnte er ohnedies verzichten. Aber der Wein war immerhin zu dieser Jahreszeit schon in Sicherheit, nämlich dort, wo er sich am wohlsten fühlte – in den Holzfässern.
Aus alter Erfahrung hatten die einheimischen Vorbesitzer der Fattoria die Terrasse so angelegt, dass eine hohe Mauer ziemlich gut vor dem Nordwind schützte. Und so konnten Dr. Friedrich von Lausitz, seine Freundin Melissa und Serafino Panepinto trotz des Tramontana draußen sitzen, ohne dass es die noch leeren Weingläser vom Tisch blies. Feierlich zeigte Lausitz die vorbereitete Flasche Wein in die Runde – ein Brunello* von Case Basse*! Zwar ließ er nur wenig Gutes an den Weinen der anderen Winzer, aber bei Soldera machte er eine Ausnahme. Obwohl oder vielleicht gerade weil er ihn für ziemlich verrückt hielt. Wie konnte man die Gärung unkontrolliert in traditionellen Bottichen ablaufen lassen, nur mit Mist düngen, sich als Weinbauer um
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