Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
göttlichen Rebensaft hinuntergeschluckt wie Wasser.«
»Ja, natürlich, ist doch zum Trinken da, oder?« Melissas Augenaufschlag half ihr nicht weiter.
»Meine liebe Melissa, lass es uns mal mit einer Analogie versuchen. Du hast auf sexuellem Gebiet bemerkenswerte Fähigkeiten …«
Panepinto, der in Gedanken noch bei der Fasanenjagd war, wurde aufmerksam. Das Gespräch begann interessant zu werden.
Melissa hauchte Lausitz ein Küsschen zu. »Schön, dass du das sagst.«
»Was ist beim Akt der Liebe das Wichtigste?«, fragte er unvermittelt.
Melissa dachte nach. »Meinst du den Höhepunkt?«
»Nein, vorher.«
»Das Vorspiel?«
»I giochetti, völlig überflüssig«, flüsterte Panepinto.
»Richtig«, stimmte Lausitz seiner Freundin zu, »und für das Vorspiel nimmt man sich Zeit. So wie du den Wein verkostet hast, ist das schlichte Pornographie. Der wahre Genuss sieht anders aus. Sinnliche Erfahrung bedarf bestimmter Rituale, muss sich langsam steigern, auch beim Wein. Vom optischen Eindruck über das Kreisen wie im Tanz, dann der Geruch bis hin zum ersten Kontakt mit der Zungenspitze, nun gemächliches Eintauchen, die Aromen der Glückseligkeit, die harten Tannine körperlicher Fleischeslust, schließlich der Höhepunkt und dann der wohlige Nachklang, je länger, desto besser. So sieht ein guter Beischlaf aus – und genauso wird ein großartiger Wein verkostet.«
Melissa lächelte. »Ich glaube, ich habe verstanden, was du meinst«, sagte sie.
Lausitz nickte. »Ich bin mir sicher.«
»Ich auch«, kommentierte Panepinto.
»Darf ich dich nun erneut bitten, den Wein zu probieren«, sagte Lausitz. »Aber jetzt unter meiner Anleitung und mit den nötigen Sinnen.« Er nahm ihr geleertes Glas und füllte es zu einem Drittel mit Wein. »Zunächst der optische Eindruck.« Er hob sein Glas, betrachtete es erwartungsvoll, neigte es nach vorn, begutachtete die Farbe, murmelte etwas von Sexappeal, von betörendem Violett.
Melissa folgte seinem Beispiel, spreizte dabei aber ihre Beine, sodass ihr ohnedies kurzer Rock – sehr zu Panepintos Wohlgefallen – gefährlich weit nach oben rutschte.
Lausitz führte das Glas an die Nase. »Ein erstes Beschnuppern. Feststellen, ob man sich riechen kann, ob die Sexualhormone stimmen. Dann schwenken, der Wein beginnt im Glas zu tanzen wie beim Walzer, er kreist quasi im Dreivierteltakt, schafft gute Laune, macht neugierig, beschleunigt den Puls. Und jetzt die Augen schließen, den Geruch des Partners mit der Nase aufnehmen, auf Nuancen achten, der Phantasie freien Lauf lassen, von roten Früchten träumen, von einer Bergwiese im Morgentau, von zwei nackten Körpern auf einem Bett von Pflaumen.«
Melissa flüsterte: »Ich rieche exotische Früchte, sehe, wie ein muskulöser Jüngling mit Beeren im Haar, das Gesicht zwischen meinen Schenkeln …«
»Konzentriere dich auf den Wein!«, ermahnte Lausitz, der es plötzlich ausgesprochen schade fand, dass Panepinto zugegen war. Andernfalls hätte er diese Lektion gerne lustbringender gestaltet. Sogar im Freien und dem Tramontana zum Trotz. Aber so fuhr er fort: »Und nun einen ersten kleinen Schluck nehmen, durch die Lippen ziehen, schmatzen und kauen. So, und jetzt darfst du den Wein hinunterschlucken. Achte auf den Nachklang, wie die Sinneslust langsam abebbt, wie sich die Wogen der Erregung glätten.«
Melissa fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, stellte das Glas ab und schlug ihre entblößten Beine übereinander.
»So, war das nun richtig?«, fragte sie.
»Besser, viel besser. Du musst ja nicht jedem sagen, woran du dabei denkst. Das wäre vielleicht peinlich. Ich meine, der muskulöse Jüngling …«
»… der so riecht, als ob er aus einem Brombeerbusch hervorgekrochen kommt? Nein, der wäre eh nicht nach meinem Geschmack. Ich hab’s gerne etwas reifer. Am besten gefallen mir an diesem Wein die leichten Tabakaromen und die anschmiegsamen Tannine.«
»Phantastisch, du bist auch auf diesem Gebiet ein Naturtalent«, lobte Lausitz. »Ich werde den wunderbaren Brunello mit einem Vakuumstöpsel versehen, und wir wiederholen die Verkostung heute Abend im Schlafzimmer. Mir fallen da noch einige Varianten ein, die wir unbedingt …«
»Bitte nichts verraten.«
»Ganz bestimmt nicht«, sagte Lausitz mit Blick auf Panepinto, der betont desinteressiert einem Ast hinterhersah, den der Tramontana über den Terrakotta-Boden der Terrasse fegte. Dabei dachte er an sein Abendprogramm. Während sich sein Chef mit dieser
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