Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
aggressiv habe sein können, auf seine Tochter losgegangen sei, mit dem Parmesanmesser oder mit einer Weinflasche. Während seiner Schilderung ließ er Gina keine Sekunde aus den Augen. Mehrmals glaubte er ein leises Nicken zu erkennen. Auch jetzt.
Aber Gina, fuhr er fort, sei ihm körperlich überlegen gewesen, habe ihm die Weinflasche entwunden, sie am Tisch abgeschlagen, sich damit gewehrt. Rettenstein habe die Gefahr unterschätzt, habe sich auf Gina gestürzt – und sei dabei zu Tode gekommen.
Was als Nächstes passiert sei, das wüssten sie alle. Der Transport der Leiche im eingerollten Teppich in den Weinkeller, das umgestürzte Regal …
Hipp sagte, man könne über den weiteren Fortgang nur Vermutungen anstellen. Unmittelbar nach der Tat könne Carlo Giardina im Haus gewesen sein. Den Schlüssel habe er vielleicht bei seiner Schwester vom Haken genommen und später wieder unbemerkt zurückgebracht. Carlo habe die Leiche entdeckt, dann das Trüffelbuch entwendet, auch alles Bargeld, das er finden konnte. Beim Durchstöbern der Schubladen seien ihm die Drohbriefe in die Hände gefallen, die Gina nach der Tat entweder vergessen oder in der gebotenen Eile vergeblich gesucht habe. Carlo habe es später für einen guten Einfall gehalten, ihm zwei der Briefe ins Auto zu stecken.
Die Drohbriefe, sagte Hipp, hätten Gina belastet. Aber diese habe es glänzend verstanden, ihn zu manipulieren, habe sein Mitleid geweckt, seine Anteilnahme am Schicksal ihrer Mutter, habe ihn auf ihre Seite gezogen, seine Freundschaft gewonnen. Nicht nur seine, auch jene von Sabrina. Fast wäre sie damit durchgekommen. Fast, viel habe nicht gefehlt. Sie hätte Roberta besser in Bologna gelassen und wäre ihm klugerweise aus dem Weg gegangen. Eine Kleinigkeit wie die Geschichte mit dem Kino. Sabrinas weiblicher Instinkt, dass Gina lesbische Neigungen habe. Die Fotos der Ärztin, der Teppich hinter dem Haus …
Unbemerkt hatte Ginas Hand die ausgetrunkene Rotweinflasche erreicht, die zwischen ihr und Viberti auf dem Tisch stand. Jetzt griff sie zu, packte die Flasche am Hals. Im Aufspringen schlug sie sie gegen die Tischkante, Splitter flogen durch die Luft. Unwillkürlich dachte jeder an Rettenstein. Der Maresciallo suchte vergeblich sein Holster mit der Dienstwaffe. Roberta schlug die Hände vors Gesicht. Sabrina rückte den Stuhl zurück. Hipp blieb unbeweglich stehen.
»Genug jetzt«, rief Gina, mit der abgebrochenen Flasche drohend, »wehe, jemand kommt mir zu nahe. Ich hab nichts mehr zu verlieren. Ja, ich habe ihn getötet. Ich wollte es nicht, aber es ist passiert. Das Schwein hat es verdient, ich habe es noch keine Sekunde bereut!«
Gina packte Roberta, riss sie hoch, umklammerte sie und drückte ihr die scharfen Zacken gegen den Hals. Etwas Blut rann über Robertas Haut. Gina zog ihre Geisel zur Tür, sagte, dass sie jetzt verschwinden werde, dann stieß sie Roberta gegen den sitzenden Maresciallo, riss die Tür auf und rannte hinaus.
Viberti befreite sich von Roberta, die Sabrina wie ohnmächtig in die Arme sank.
»Avanti«, rief er Hipp zu, »hinterher, sie darf uns nicht entkommen!«
»Sie können wieder Platz nehmen«, sagte Hipp, der keine Anstalten gemacht hatte, Gina aufzuhalten. »Im Flur warten bereits Ihre Leute auf Gina.«
Der Maresciallo schaute ungläubig. »Meine Leute? Aber die wissen doch gar nicht, dass …«
Wie auf Kommando stand plötzlich Sebastiano in der Tür. Der Brigadiere salutierte. »Maresciallo, Ihr Befehl ist ausgeführt, Signorina Zazzari überwältigt.«
»Mein Befehl?«
»Ja, Maresciallo. Ihr Befehl, den uns vor einer Stunde Dottore Hermanus in Ihrem Auftrag übermittelt hat. Von seinem Mobiltelefon, weil Sie aufgrund einer verdeckten Ermittlung nicht telefonieren konnten.«
Viberti stand verwirrt auf. »Verdeckte Ermittlung«, wiederholte er stumpfsinnig. Er hustete, sah zu Hipp, der bestätigend nickte, dabei leise lächelnd.
»Mein Befehl, natürlich. Vom Dottore übermittelt.« Viberti bekam die Situation erstaunlich schnell unter Kontrolle und rieb sich die Hände. »Sehr schön, dann hat ja alles so geklappt wie von mir geplant. Gut gemacht, Brigadiere. Nochmals vielen Dank, Dottore Hermanus, für Ihre Hilfestellung. Brigadiere, lesen Sie der Signorina ihre Rechte vor, sie ist verhaftet! Verbringen Sie die Gefangene in eine Einzelzelle. Ich komme in Kürze nach.«
Viberti zeigte auf Roberta, die den ersten Schock überwunden hatte. »Und nehmen Sie diese Signorina mit und
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