Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
tot. Wenn der Avvocato recht hatte, dann war sie bald eine reiche Frau, mit einer Villa im Piemont, einem silbergrauen Mercedes, Anteilen an einer großen Exportfirma in Parma, einem Aktiendepot. Alles Dinge, auf die sie keinen Wert legte. Sie würde den Krempel verkaufen und ihr Leben in Bologna fortsetzen. Trotzdem, das Erbe kam gerade noch zur rechten Zeit, denn sie brauchte dringend Geld. Deshalb hatte sie auch kein schlechtes Gewissen. Keine Sekunde. Das Schicksal sorgte für ausgleichende Gerechtigkeit – hatte sich nur lange Zeit damit gelassen.
17
D ie hochmoderne Cantina lag in den Colli di Parma, in den sanften Hügeln, die für ihren leicht perlenden Malvasia und für ihren Lambrusco* bekannt sind. Amedèo Steinknecht hatte sich am späten Vormittag in der Cantina eingefunden, wo er schon erwartet wurde. Man führte ihn zu großen Edelstahltanks, entnahm eine Probe und reichte ihm das Glas. Steinknecht begutachtete die Farbe, ließ den Wein rotieren, roch an ihm, lächelte zufrieden, probierte, schloss die Augen, schmatzte und kaute und schluckte ihn schließlich hinunter.
Der Kellermeister sah ihn erwartungsvoll an. »Und? Entspricht er Ihren Vorstellungen?«
Steinknecht nickte. »Einfach genial. Sehr gute Arbeit, nicht wiederzuerkennen. Und das in der kurzen Zeit. Complimenti! Wie haben Sie das gemacht?«
»Die Tankware mit dem Nebbiolo*, die Sie vor zwei Wochen haben anliefern lassen, war von ziemlich minderer Qualität.«
»Das ist noch geschmeichelt. Wie kann man in Sizilien Nebbiolo anbauen? Das kann ja nichts werden, aber dafür war er spottbillig.« Steinknecht probierte erneut vom Wein. »Ich kann es nicht fassen. Sie sind ein Zauberer!«
Der Kellermeister lächelte zufrieden. »Und ein guter Zauberer verrät keine Tricks. Nur so viel, wir haben den Wein zunächst mit Hilfe der Umkehrosmose verdichtet, dann einige Aromastoffe aus Amerika hinzugefügt und etwas flüssige Tannine.«
»Und wo kommen die Barriquenoten her?«
»Getoastete Eichenchips.«
»Hab ich’s mir doch gedacht.«
»Zwei Säcke pro Stahltank. Nach einigen Tagen wieder umgepumpt, das war’s. Wer braucht schon Barriquefässer? Kosten nur Geld und dauert viel zu lange.«
Steinknecht nickte. »Den Unterschied merkt doch keiner.«
»So ist es. Was meinen Sie, sollen wir die Maschine anwerfen und ihn auf Flasche ziehen?«
»Natürlich. Ihre Mitarbeiter an der Abfüllanlage sind hoffentlich vertrauenswürdig?«
»Hundertprozentig. Wie Sie wissen, machen wir das nicht zum ersten Mal. Haben Sie die Etiketten mitgebracht?«
»Aber sicher. Druckfrisch. Die Kartons sind draußen im Lieferwagen.«
Eine gute Stunde später wurde die riesige Abfüllanlage gestartet. Bei den ersten Flaschen ging es noch relativ langsam. Steinknecht konnte verfolgen, wie der Wein aus den Stahltanks gepumpt und über ein großes Rohrsystem synchron in Dutzende von Flaschen gefüllt wurde. Diese wurden vakuumiert und verkorkt, mit einer Kapsel versehen, vollautomatisch in die Etikettieranlage befördert, dort mit einer Etichetta beklebt, schließlich weiter in die Verpackung, zwölf Flaschen pro Karton, Deckel zu, verschlossen und zugetackert, um hundertachtzig Grad gedreht, mit einem großen Aufkleber versehen und mit dem obligatorischen Hinweis: Fragile, zerbrechlich. Immer schneller ging dieser Prozess. Die Kartons rutschten auf Paletten, wurden dort in Position gebracht, mit einer dicken Plastikfolie verschweißt und mit Gabelstaplern in die Expedition transportiert.
Der Kellermeister klopfte Steinknecht auf die Schulter und überreichte ihm eine Flasche. Er nahm sie in die Hand und betrachtete das Etikett. Was war das doch plötzlich für ein wunderbarer Wein. Ein Barolo aus La Morra im Piemont. Ein bekannt guter Jahrgang. Die Farbe Rubinrot. Und, wie er sich überzeugt hatte, mit einem feinen Bukett und angenehm weichen Tanninen. Natürlich in Barrique ausgebaut. Am besten gefiel ihm auf dem Etikett die amtliche Bestätigung der kontrollierten Herkunft: Denominazione di Origine Controllata e Garantita!
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H ipp schlenderte durch den malerischen Ortskern von Neive*, setzte sich auf der Piazza Cocito in den Schatten der alten Bäume, las vor der Locanda Contea die Speisekarte, kam an der Casaforte Cotto vorbei, dem ältesten Gebäude Neives, besuchte die Pfarrkirche Santi Pietro e Paolo mit der alten Rosenkranzmadonna und im Palazzo Borgese die Bottega dei Quattro Vini. Schließlich stand er fast pünktlich vor Carlos Laden: Vini, funghi
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