Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
sich laut Viberti so gut mit Trüffeln auskannte. Ihm fiel ein, dass er nach der gestrigen Überdosis heute auf den Verzehr von Trüffeln verzichten wollte. Bei den Gnocchi würde er eine Ausnahme machen. Gnocchi con tartufo, das hörte sich gut an. Um mit dem Maresciallo zu sprechen: Da er doch extra den weiten Weg aus der kulinarischen Wüste ins gesegnete Piemont auf sich genommen hatte!
14
M aria Battardi saß mit ihrem Bruder Carlo im Wohnzimmer. Sie weinte, Carlo hielt ihre Hände und redete beruhigend auf sie ein. Sie nahm ein Taschentuch und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
»Scusa, aber ich bin mit den Nerven völlig am Ende. Mir wird erst jetzt richtig bewusst, dass Ildefonso tot ist. Und als ob das nicht genug wäre, ist auch Signor Rettenstein ums Leben gekommen. Ich habe keine Arbeit mehr, dabei wäre sie jetzt so wichtig.«
»Wenn du Geld brauchst, ich kann dir was geben.«
»No, mille grazie, das geht schon, wenigstens vorläufig. Und wie es aussieht, bekomme ich ja etwas Geld von der Lebensversicherung. Ich brauche die Arbeit zur Ablenkung. Ich sitze alleine in unserem Häuschen, vermisse Ildefonso und fühle mich fürchterlich einsam. Noch kümmern sich die Freunde und die Verwandten um mich, das ist lieb. Aber wie wird das im Winter? Jeder hat was zu tun, der Nebel hängt im Tal, es kriecht kalt durch die Ritzen. Und es ist niemand da, der mich wärmen könnte. Nicht nur körperlich, vor allem seelisch.«
Wieder begann Maria zu schluchzen.
Carlo nahm sie in den Arm. »Cara Maria, unsere Familie wird immer für dich da sein, glaub mir. Und ich sowieso, ich bin doch dein Bruder.«
Sie schneuzte sich. »Es macht Ildefonso nicht mehr lebendig, aber ich möchte, dass der Todesschütze gefunden und bestraft wird. Kannst du das verstehen?«
»Natürlich, mir geht’s nicht anders.«
»Glaubst du, es war ein Jagdunfall?«
»Ja, das glaube ich«, bestätigte Carlo.
»Ich nicht. Mein Gefühl sagt, dass es ein anderer Trifolao war, der nicht damit einverstanden war, dass Ildefonso in diesem Wald auf Trüffelsuche geht. Wir Albenser sind in Asti nicht sehr beliebt.«
»Das beruht auf Gegenseitigkeit!« Carlo stand auf, holte eine Flasche Barolo Chinato* aus dem Schrank und goss zwei Gläser ein. »Trink, das beruhigt die Nerven. Die Carabinieri in Asti haben alle Trüffelsucher befragt, von denen man weiß, dass sie diesen Wald zu ihrem Revier zählen. Alle haben ohne Ausnahme ein Alibi. Das überrascht mich nicht. Es wäre viel zu gefährlich, der Verdacht fällt doch automatisch auf sie. Und für jeden anderen Trüffelsucher macht’s erst recht keinen Sinn, er müsste den Wald jahrelang meiden.«
»Mag sein, ich glaub’s trotzdem. Kannst du dich ein bisschen umhören?«
»Maria, meine Liebe, was glaubst du, was ich seit Ildefonsos Tod mache? Ich spreche mit jedem Trifolao, der mir über den Weg läuft. Auch mit jedem Jäger.«
»Wir sollten eine Belohnung aussetzen«, schlug Maria vor. »Sobald die Lebensversicherung überwiesen ist, werde ich in der Zeitung eine Anzeige aufgeben. Was hältst du davon?«
»Ich fürchte, das wird wenig bringen. Aber mach’s, vielleicht täusche ich mich und wir haben Glück. Wir sind es Ildefonso schuldig, dass wir nichts unversucht lassen.« Er überlegte. »Vielleicht sollte ich mal nach Asti fahren und mich dort mit einigen Leuten unterhalten.«
Maria nahm Carlos Gesicht in ihre Hände. »Eine gute Idee. Aber pass auf dich auf, nicht dass dir auch noch was passiert.«
15
U m zur Rechtsanwaltskanzlei von Avvocato Elio Romagnosi zu gelangen, musste Hipp in der Via Mandelli auf Holzbrettern eine Baustelle und anschließend einen vom gestrigen Regen verdreckten Bürgersteig überqueren. Dann ging es die Treppe hinauf in den »secondo piano«. Er läutete, die Tür öffnete sich mit einem Summton, er wollte den ersten Schritt in die Büroräume machen …
»Signore, un momento, per favore stopp!«, brachte ihn eine resolute Stimme zum sofortigen Anhalten. Die Dame am Empfang deutete panisch auf seine Schuhe. »Bitte sorgfältig abstreifen und reinigen. Wir haben einen hellen Teppichboden. Dauert die Baustelle noch länger, müssen wir ihn komplett rausreißen und einen neuen verlegen lassen.«
Hipp machte seine Schuhe sauber, nahm sogar einen Lappen, der neben dem Eingang hing, kontrollierte die Sohlen – und wagte es schließlich, die Kanzlei zu betreten.
»Mille grazie, Signore«, bedankte sich die Empfangssekretärin. »Molto gentile. Darf
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