Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
Verstorbenen am besten vertreten.«
»Würde mich sehr freuen. Grüßen Sie den Maresciallo von mir.«
»Mache ich, grazie e arrivederci.«
Hipp blieb im Flur kurz stehen, dann ging er zur Rezeption, lächelte die Sekretärin an und deutete auf den Teppichboden.
»Sieht doch gar nicht so schlimm aus«, sagte er wie beiläufig. »Wenn man bedenkt, dass Gina heute früh da war, in ihren Bergstiefeln mit dem groben Profil.«
»Gina? Ach so, Sie meinen Gina Zazzari. Ja, die Sohlen ihrer Stiefel waren eine einzige Katastrophe. Ich habe die Signorina gebeten, sie vor der Tür auszuziehen.«
»Das hat sie gemacht? So viel Rücksicht hätte ich Gina gar nicht zugetraut. Auf Wiedersehen, buona sera!«
Auf der Baustelle vor dem Haus wurde immer noch nicht gearbeitet. Hipp grinste. Egal, ihm hatte der Dreck jedenfalls geholfen. So hatte er auf elegante Weise in Erfahrung bringen können, dass seine eigenwillige Beifahrerin von heute Vormittag niemand anders war als Rettensteins Tochter. Sie hatte im selben Hotel genächtigt wie er, was kein so großer Zufall war, allzu viele Hotels gab es nicht in Alba. Den Nachnamen hatte ihm freundlicherweise die Empfangssekretärin mitgeteilt: Zazzari. Ihre genaue Adresse in Bologna würde er sich an der Hotelrezeption besorgen. Na also, da hatte sich der Besuch beim Avvocato entgegen Vibertis Annahme doch gelohnt. Es sprach einiges dafür, Gina in Bologna aufzusuchen und mit ihr über ihren Vater zu plaudern. Dann gab es diese beiden Kompagnons namens Zorzi und Steinknecht. Auch mit denen sollte er sich mal unterhalten. Weil Parma auf dem Weg nach Bologna lag, würde Gina noch etwas warten müssen. Hipp setzte die Sonnenbrille auf. Aber nicht allzu lange.
16
A uf der Zugfahrt nach Bologna war Gina im Abteil alleine. Sie zog die Stiefel aus, klappte die Armlehnen hoch und legte sich längs auf die Sitze. Mit dem Rucksack unter dem Kopf konnte sie zum Fenster hinaussehen, an den vorüberhuschenden Baumwipfeln vorbei auf die immer flacher werdenden Hügel. In der Ferne die schneebedeckten Gipfel der Westalpen, die der Region Piemont ihren Namen gegeben hatten: Piè dei monti – am Fuße der Berge.
Gina dachte an Hipp, an jenen Mann, der sie im alten Alfa zum Bahnhof gebracht hatte. Sie hatte ihn ziemlich sympathisch gefunden. Und das, obwohl er ein Deutscher war, der allerdings gut Italienisch sprach, der kein unnützes Zeug quatschte, der schweigen konnte, der nicht herumprotzte, der sie vor allem weder angemacht noch blöd nach ihrer Adresse gefragt hatte. Sie musste lächeln. Eigentlich schade.
Gina schloss die Augen. Jetzt sah sie ihren Vater vor sich. Genauso wie auf den Bildern in jener Gourmet-Zeitschrift, in der sie vor einigen Wochen auf ihn gestoßen war. Rettenstein mit dem Weinglas in der Hand, im Korbsessel auf der Terrasse seiner Villa, eine Zigarre zwischen den Fingern, an die Kühlerhaube seines Mercedes gelehnt, in seinem Weinkeller, beim Trüffelessen.
Gina war es fast schlecht geworden. Sie war ihrem Vater noch nie begegnet, wusste nicht, wie er aussah, sie kannte nur seinen Namen. Dass er ein solches Leben führte, hatte sie nicht erwartet.
Von einer Sekunde auf die andere hatte sie einen Entschluss gefasst. Sie war mit dem nächsten Zug ins Piemont gefahren, hatte ihren Vater aufgesucht, ihm ihre Geburtsurkunde auf den Tisch geknallt …
Nun, wie er auf ihren Auftritt reagiert hatte, das hätte sie sich eigentlich denken können.
Ihr kam wieder die kurze Nachricht in der
Gazzetta di Bologna
vom plötzlichen Tod des Hubertus G. Rettenstein in den Sinn. Symbolträchtig erschlagen von den Reliquien seines Wohlstandes. War es eine Sünde, dass sie keine Trauer empfunden hatte? Ende letzter Woche dann der Anruf, der alles verändern sollte. Ein Avvocato aus Alba war am Telefon gewesen, der sie dringend aufgefordert hatte, in seine Kanzlei zu kommen. Er müsse den Nachlass des Verstorbenen regeln, und da es kein Testament gebe, außerdem keine anderen nahen Verwandten, sehe es ganz so aus, als ob sie die alleinige Erbin wäre. Der Avvocato hatte sie außerdem gebeten, an Rettensteins Beerdigung teilzunehmen. Gina war zunächst unschlüssig gewesen – um dann doch zuzusagen.
Sie dachte an die Trauerfeier und all die fremden Menschen, die ihren Vater viel besser gekannt hatten als sie selbst. Ja, die ihn auch mehr geliebt hatten. Was allerdings nicht schwer war, denn geliebt hatte Gina ihren Vater nie.
Und jetzt? Jetzt saß sie wieder im Zug. Ihr Vater war
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