Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
wovon sie ihre Miete bezahlen sollte. Mein Vater trank jeden Morgen ein Glas Champagner, während meine Mutter Schmerztabletten in Wasser auflöste. Mein Vater spielte eine Runde Golf, während meine Mutter kaum mehr den Weg ins Badezimmer schaffte …«
»Gina, per favore, basta così«, bat Rosa Zazzari ihre Tochter um Einhalt.
Gina hob das alte Bild ihrer Mutter in die Höhe. »So hat meine Mutter mal ausgesehen. Wo bleibt da die Gerechtigkeit?«
»La vita non è giusta!«
»Von einer Sekunde auf die andere hatte ich einen Entschluss gefasst. Ich bin mit dem nächsten Zug ins Piemont gefahren, habe meinen Vater aufgesucht, ihm meine Geburtsurkunde auf den Tisch geknallt, vom Schicksal meiner Mutter erzählt und um Hilfe gebeten.«
»Era sbagliato! Du hättest das nicht tun sollen.«
»Doch, natürlich, warum nicht! Zunächst habe ich sogar so etwas wie Zuneigung empfunden. Immerhin war das mein Vater. Aber diese Gefühle sind sehr schnell ins Gegenteil umgeschlagen, denn kalt lächelnd hat er mir erklärt, dass das alles lang zurückliege, dass er dafür bezahlt habe, dass es ihm um Rosa leid tue – er aber nichts für meine Mutter tun könne. Er lehnte es ab, sich Fotos von ihr anzusehen. Er wollte nicht wissen, wie wir lebten, was ich machte. Kurzum, er wollte mich möglichst schnell wieder loswerden. Als er mir zum Abschied die Kosten für die Zugfahrt ersetzen und Geld für einen Blumenstrauß für meine Mutter geben wollte, da hätte ich ihn erwürgen können.«
»Gina, du versündigst dich.«
Sie nahm erneut die Hände ihrer Mutter. »Aber Mamma, ich hab’s nicht getan.«
»Man darf so etwas nicht einmal denken«, sagte Rosa Zazzari mit zwar schwacher, aber erregter Stimme. »È un peccato!«
Hipp, der bis jetzt geschwiegen hatte, versuchte zu vermitteln. »Eine Sünde? Nein, Signora, da muss ich Ihre Tochter in Schutz nehmen. In einer solchen Situation ist es absolut natürlich, so etwas zu denken. Aber es befreit von der Sünde, wenn es einem gelingt, sich zu beherrschen und die Aggression zu kontrollieren.«
Rosa Zazzari nickte nachdenklich. »Das haben Sie schön gesagt. Sind Sie Pfarrer?«
Hipp lächelte. »Nein, Signora, bin ich nicht. Aber ich kenne ein wenig die Menschen und ihre seelischen Abgründe.«
»Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Darf ich weitererzählen?«, fragte Gina.
»Natürlich, mein Kind, erzähl weiter.«
»Die folgenden Wochen habe ich wie einen schlimmen Traum in Erinnerung. Meiner Mutter ging es gesundheitlich schlechter. Ich musste immer an das kalte Lächeln meines Vaters denken. Und daran, dass er ihr hätte helfen können. Dann die kurze Nachricht in der
Gazzetta di Bologna
von seinem plötzlichen Tod. Anfang letzter Woche schließlich der Anruf, der alles verändern sollte. Ein Avvocato aus Alba war am Telefon, der mich aufforderte, in seine Kanzlei zu kommen. Er müsse den Nachlass des Verstorbenen regeln, und da es kein Testament gebe, außerdem keine direkten Verwandten, sehe es ganz so aus, als ob ich die alleinige Erbin wäre. Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht damit. Der Avvocato forderte mich außerdem auf, an der Beerdigung teilzunehmen. Ich war unschlüssig, sprach mit meiner Mutter …«
»Ich habe ihr gesagt, sie solle hinfahren und ihrem Vater trotz allem die letzte Ehre erweisen.«
»Das habe ich gemacht. Es ist mir nicht leichtgefallen. Die Menschen, von denen ich niemanden kannte, haben an seinem Grab geweint und sich umarmt. Nur ich, seine Tochter, konnte keine Trauer empfinden.«
Rosa Zazzari schüttelte missbilligend den Kopf. »Aber wir sollten ihm dankbar sein. Immerhin verdanken wir ihm, dass ich die letzte Zeit meines Lebens in diesem wunderschönen Heim verbringen darf.«
»Aber nicht, weil er es so wollte …«
»Mein Kind, vielleicht gibt es so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit im Leben.«
Gina lächelte. »Sieht ganz so aus. Die Erbschaft ist noch nicht rechtskräftig, aber vom Avvocato Romagnosi habe ich auf mein Drängen vorab einen großen Scheck erhalten. Ein Kredit, mit meiner Erbschaft als Sicherheit. Mit diesem Geld habe ich meiner Mutter den Platz im Pflegeheim besorgt. Ab jetzt wird es ihr an nichts mehr fehlen. Die besten Ärzte kümmern sich um sie. Sie bekommt Medikamente aus Amerika …«
»Mir geht es besser.«
»Ja, Mamma, das macht mich glücklich.«
»Aber jetzt bin ich müde.«
Gina stand auf, beugte sich über ihre Mutter, küsste sie und streichelte ihr über die Stirn. Hipp
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