Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
er sie nicht in ihre Wohnung begleiten würde, ihre Sachen könne sie alleine hinauftragen. Im gegenüberliegenden Caffè Silvano, wo ihr Abenteuer angefangen hatte, tranken sie einen Espresso. Zurück auf der Straße umarmten sie sich. Er fuhr ihr durch die Haare und wünschte ihr alles Gute. Auch solle sie ihre Mutter von ihm grüßen. Ganz gewiss würden sie sich wiedersehen.
Entweder im Piemont, meinte Gina, wo sie von Avvocato Romagnosi erwartet werde, der mit ihr irgendwelche Papiere besprechen wolle. Oder bei seiner netten Freundin Sabrina in Montalcino?
Eine Vorstellung, die Hipp reichlich irritierend fand.
Den geplanten Wangenkuss zum Abschied leitete Gina geschickt auf ihre Lippen um. Er fiel ausgesprochen intensiv aus. Im Wegfahren winkten sie sich zu. Hipp fuhr mit der Zunge über die Lippen – ein süßherber Geschmack. Er assoziierte fleischige Pflaumen, den Duft von reifen Kirschen, würzige und animalische Signale aussendend, mit kräftigen Tanninen und einem leicht bitteren Abgang – ganz ähnlich wie bei einem großartigen Barolo. Nein, viel besser! Aber er hatte den Wein nicht getrunken, er hatte ihn sozusagen nur degustiert. Eigentlich nicht einmal das. Er konnte stolz auf sich sein.
Am frühen Nachmittag wurde Hipp bei Delita in Parma von Ugo Zorzi begrüßt. Er holte ihn am Empfang ab, wo sich Hipp vorher angeregt mit dem Personal unterhalten hatte. Solche Gespräche liebte er, denn oft erfuhr man dabei interessante Details. Zum Beispiel, dass Steinknecht sehr gerne in aller Frühe Termine gemacht hatte. Und zwar immer dann, wenn er sich ungestört und diskret unterhalten wollte. Selbstredend stünden diese Verabredungen in keinem Kalender. »È logico, sonst wären sie ja nicht diskret!« Natürlich, das war logisch.
Zorzis Händedruck war fest, aber seine Augen wirkten misstrauisch, gleichzeitig abweisend und doch neugierig. Ob er ihm die Lagerhalle zeigen dürfe, fragte er. An jenem Morgen, als Steinknechts Leiche entdeckt wurde, habe er dafür sicherlich keine Gelegenheit gehabt. Hipp nahm das Angebot an. Sie liefen an den Hochregalen entlang. Ab und zu blieb Zorzi stehen, um etwa ein Glas aus einem Karton zu nehmen und ihm die Vorzüge einer getrüffelten Creme zu erläutern. Oder eine Flasche mit kalt gepresstem Olivenöl aus der Toskana, biologisch angebaut. Aceto di Pomodoro, aromatischer Tomatenessig aus Parma. Limoncello aus traditioneller Herstellung. Feine Scheiben von der schwarzen Trüffel, eingelegt in Olivenöl, für Tagliatelle oder Risotto.
Als sie an der Weinabteilung vorbeikamen, erwähnte Zorzi ihr gemeinsames Mittagessen bei Giusti in Modena. Hipp sei offenbar ein exquisiter Weinkenner, das habe er schon früher von Hubertus erfahren. Ob er denn auch bei Barolo Bescheid wisse, erkundigte sich Zorzi. Das war ein ziemlich plumper Versuch, ihn aufs Glatteis zu führen. Ganz offenbar hatte Zorzi den zutreffenden Verdacht, dass er es war, der den gefälschten Barolo entdeckt hatte.
»Ein wenig«, antwortete Hipp, »aber nicht der Rede wert. Warum?«
»Nur so«, entgegnete Zorzi. »Wie Sie wissen, lag in der Kühltruhe eine Flasche Barolo neben Steinknechts Leiche.«
»Das war ein Barolo? Ist mir gar nicht aufgefallen.«
Zorzi sah ihn prüfend an, dann gingen sie weiter. Schließlich standen sie vor der großen Stahltür, an die sich Hipp in Dozza erinnert hatte. »Tesoreria« stand darüber geschrieben. Es roch intensiv nach Trüffeln. »Unsere Schatzkammer«, erklärte Zorzi. »Hier werden die Trüffeln zwischengelagert und für den weltweiten Versand vorbereitet.«
»Vorbereitet?«
»Ja, sie werden abgeduscht …«
»Ich dachte, sie dürften keinesfalls mit Wasser in Berührung kommen.«
Zorzi öffnete die Tür, und sie betraten das Heiligtum. »Grundsätzlich stimmt das auch«, erklärte er, »aber wir machen das professionell, dann funktioniert’s. Schließlich wollen unsere Kunden keine unappetitlichen Erdklumpen geliefert bekommen, sondern die Qualität der Ware sehen.«
Zorzi zeigte, wie die Trüffeln mit einer Brause gereinigt wurden. Anschließend wurden sie in feinem Sand gewendet, bis sie aussahen wie paniert. Auf diese Weise wurde den Trüffeln die Feuchtigkeit sofort wieder entzogen. Dann wurden sie abgebürstet, auf einem langen Tisch nach Qualität und Gewicht sortiert, den Bestellungen zugeordnet, in Küchenpapier eingewickelt und schließlich in Kühlboxen aus Styropor versandfertig gemacht.
»Diese hier gehen nach Amerika«, erklärte Zorzi.
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