Hirngespenster (German Edition)
lass erst mal alles andere auf mich zukommen.«
»In Russland, nichts ist gefährlicher wie Mann in gekränkter Stolz«, erklärte Olga, die nach ihrer Sonntagsschicht bei Sabina und Tanja vorbeischaute. »Habe ich dich gewarnt«, mahnte sie mit erhobenem Zeigefinger. »Habe ich nicht gesagt, gibt Ärger mit die junge Mann?«
»Aber du hast nicht gesagt, welche Art von Ärger! Was weiß denn ich, was du unter Ärger verstehst! Außerdem hast du von Zeitverschwendung gesprochen. Und zu Anfang sah ja auch alles ganz vielversprechend aus, ich war ein bisschen verliebt...«
»Du warst nicht verliebt!«, riefen Olga und Tanja wie aus einem Mund.
Und trotz aller Umstände musste Sabina lachen.
Am nächsten Tag verging ihr das Lachen jedoch aufs Neue. Nachdem sie alle Spuren von Alex' Verwüstungen beseitigt hatte, griff sie wieder zu dem Stapel aus Briefumschlägen und anderen Papieren neben ihrer Obstschale. Stirnrunzelnd betrachtete sie einen Umschlag, der nun an oberster Stelle lag. Was war das für ein Schreiben? Mit spitzen Fingern zog sie eine Kopie heraus, die zusammengefaltet darin lag. Sabinas Augen weiteten sich. Es handelte sich um die Kopie einer Vereinbarung, die ihre Zusammenarbeit mit Alex bescheinigte. Sabina holte tief Luft und legte die Kopie wieder zurück auf den Stapel. Dann griff sie nach dem Telefon.
Diesmal brummte kein Föhn im Hintergrund, Tanja machte Mittagspause bei Luigi.
Sabina kam ohne Umstände zum Thema: »Jetzt ist es amtlich, Tanja. Laut einer Vereinbarung zwischen Alex und mir, datiert auf den zwölften August letzten Jahres, haben wir uns auf 10.000 Euro für seine Dienstleistungen geeinigt – nett, oder?«
»Moment mal. Wo kommt das denn jetzt her?«
»Bei seinem Einbruch in meiner Wohnung hat er mir eine Kopie dieser Vereinbarung hinterlassen. Ich hab’ sie eben erst gefunden.“
„Und da ist deine Unterschrift drauf?« «
»Eindeutig meine. Und er hat auch bestens dafür gesorgt, dass ich die Rechnung nicht abstreiten kann. Ich hab nachgesehen: Auf dem Businessplan steht in jeder Fußzeile, dass er den Plan erstellt hat. Und ich hab ihn unterschrieben.«
Silvie
Als Jens am Nachmittag eintraf und nach unserer heimlichen Begrüßung wieder im Arbeitszimmer verschwand, um die Akten in mitgebrachten Leitz-Ordnern abzulegen, war mein Vater bei Anna noch kein Stück weitergekommen. Sie beharrte darauf, mit ihr sei alles in Ordnung, sie nehme die Tabletten nur ab und zu, und wer, bitteschön, nehme sich das Recht heraus, ihr diese zu verwehren, gerade jetzt, wo sie ihren Mann verloren hatte.
»Sie war ganz klar im Kopf«, nippte er an seinem Kaffee. »Ich glaube ihr.«
Ich lachte auf und tippte mir an die Stirn. »Du willst ihr glauben, das ist alles. Ich glaube, dass sie die Dinger seit vielen Monaten einnimmt, mindestens seitdem sie ihre Operation hatte.«
Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Davon hätten wir was gemerkt, Silvie. Sie hat nichts genommen.«
»Ach ja?«, rief ich. »Hast du einen Blackout? Ich hab ihr doch selbst die Tabletten besorgt und sie dir in die Hand gedrückt, nachdem sie bei dem Italiener im Hausanzug aufgekreuzt war. Erinnerst du dich wirklich nicht mehr daran?«
Meine Eltern runzelten die Stirn. »Doch«, nickte meine Mutter dann, »jetzt erinnere ich mich.« Sie blickte zu Boden. »Aber das war nur eine Ausnahme, du weißt doch, sie hatte sich eingebildet, dass sie das Haus verlören, weil Matthias ein paar Raten nicht bezahlt hatte. Da hättest du auch Angst gekriegt, Silvie.«
Ich ließ sie stehen, meinen Eltern war nicht zu helfen. Sie waren Mittäter, das waren sie. Wütend machte ich mich auf den Weg ins Arbeitszimmer, wollte zu Jens, ihm berichten, wie vertrackt alles war. Er saß jedoch nicht oben am Schreibtisch, und auch im Bad fand ich ihn nicht. Leise ging ich wieder nach unten, öffnete die Tür zu Annas Schlafzimmer, und da saß er wieder an ihrem Bett. Rührend sah das aus, er tätschelte ihre Hand, und sie lächelte ihn dumpf an. Der Herr Doktor, dachte ich amüsiert und kehrte um, nahm wieder die Treppe nach oben ins Arbeitszimmer, von wo aus ich einen Blick auf den Vorplatz hatte. Dort stand Christine Brückner und diskutierte mit einem Mann. Den vertraulichen Gesten nach zu urteilen, musste es sich um ihren Mann handeln; er griff nach ihrer Wange, strich ihr kurz darüber und sagte etwas. Sie tippte auf ihre Armbanduhr, und er nickte. Dann blickten beide zum Haus, sahen mich, und ihre Blicke veränderten sich. Ich
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