Hirngespenster (German Edition)
willen?«
»Ist wegen Ekaterina und Natasha. Ekaterina kommt bald in siebte Klasse, weißts, und will ich auf gute Schule schicken, bessere wie hier in Frankfurt.«
»Ach so, ihr wollt wegziehen. Aufs Land?«, sagt Sabina und setzt sich erst einmal.
»Nee, nee. Gehen wir zurick nach Russland. Hier auf Schulen is nix so gut, Sabina, weißsts, zu viele Ausländer gibsts. Polen, Rumänen, Tirken. Ist zu viel. Banden gibsts auch, und wird nicht richtig Deutsch gesprochen. Vladimir und mir gefälltst das nicht.«
Sabina starrt sie an. »Aha«, sagt sie. »Und in Russland, da ist das auf den Schulen besser?«
»Geht sie in deutsche Schule in Maskwa, ist schon angemeldet. Nur deutsche Kinder sind dort.«
»Interessant«, nickt Sabina.
Ich glotze Olga an, als Sabina fragt: »Kommt ihr wieder zurück, irgendwann?«
Olga hebt die Schultern. »Ich weißts nicht. Kann sein, Natasha kommt zurick, wann ist fertig mit Schule. Wann Ekaterina ist fertig, wir kommen vielleicht alle. Aber weißst, kann auch sein, dass nicht. Viel Arbeitslosigkeit gibt’s hier. Bildung auch nichts so gut.«
Sabina fährt sich mit der Hand über den Bauch. »Äh. Ist das nicht sehr teuer auf der deutschen Schule in Moskau?«
Olga winkt ab. »Hab ich genug Geld fir das. Haben wir viel gearbeitet hier, Vladimir und ich, haben wir viel gespart. In Moskau wir finden auch gut Arbeit, und auch gut ist, dass wir sprechen Deutsch. Ideal ist.«
Sabina nickt gedankenverloren. »Dann brauche ich einen Ersatz für dich. Am besten einen, der Russisch spricht, da deine Cousine kaum Deutsch kann.«
Olga schüttelt bedauernd den Kopf. »Geht Mascha auch zurick – nach Jaroslavl. War hier sowieso nicht fir lange. Musst du dir suchen ganz neue Leute.«
Sabina reibt sich die Augen, sie sieht fertig aus. Dann schaut sie auf die Uhr, und ich weiß schon genau, was das zu bedeuten hat: Ich werde ins Bett verfrachtet. Noch immer muss ich mich jeden Mittag hinlegen, ob ich will oder nicht. Dabei liebe ich es, am Tisch dabeizusitzen und zuzuhören. Olga bleibt sitzen, sie sagt noch: »Habe ich nachgesehen in Kaffeesatz, ob gibt gute Leesung.«
Und während Sabina mir ins Bett hilft, ruft sie lachend über ihre Schulter: »Nein, danke!«
Kaum ist Olga aus dem Haus, greift Sabina zum Telefon. Sie ruft Johannes bei jeder Kleinigkeit an. Wo soll er denn bitte auf die Schnelle eine Lösung herkriegen? Es dauert nicht lange, und er kommt nach Hause. Bringt Ole und Nils gleich mit, die er meistens vom Hort abholt.
Sie sitzt auf dem Sofa, ich hocke direkt neben ihr. »Wir werden schon eine Lösung finden«, sagt er, streicht ihr über den Rücken und küsst sie auf die Nasenspitze. Auch Nils und Ole stellen sich zu uns und schauen sie besorgt an.
»Was ist denn los?«, fragt Nils.
Das frage ich mich auch. Die Welt geht doch nicht unter! Obwohl ich es selbst sehr schade finde, dass Olga bald nicht mehr kommt. Ich betrachte Sabina und streiche ihr auch über den Rücken, so wie Johannes es tut. Plötzlich habe ich einen Einfall. »A-a-a!«, rufe ich.
Nils und Ole stimmen ein, »A-a-a! O-o-o!«, rufen sie. Wütend blicke ich sie an und gleite vom Sofa. Die können mich mal! Entschlossen laufe ich zu dem Stapel Fotoalben, die seit unserem Besuch im Keller hier oben unter dem Couchtisch liegen. Ich krieche unter den Tisch und ziehe ein Album hervor – Gott sei Dank gleich das richtige. Schwerfällig trage ich es zu Sabina und lege es ihr auf den Schoß. »Jetzt nicht«, sagt sie und will es beiseitewischen.
»A-a-a!«, rufe ich und kralle mich an dem Album fest. Johannes kapiert schließlich, was ich meine. »Sie hat recht«, lacht er und kitzelt mich unterm Kinn. »Wir könnten Anna fragen.«
Wir betrachten uns die Bilder, und Sabina meint skeptisch: »Ich weiß nicht.« Sie scheint Anna nicht in allzu guter Erinnerung zu haben. Anna sei völlig ausgetickt, nach dem, was mit mir passiert war – vor allem, nachdem sie davon gehört hatte, dass Sabina bei Johannes eingezogen war. Selbst nach vielen Monaten sei sie nicht in der Lage gewesen, vorbeizukommen.
Johannes beschwichtigt. Sicherlich könne sie inzwischen sogar ihre Freude an mir haben. Man solle es auf einen Versuch ankommen lassen. Und nebenbei könne man auch über andere Dinge als die Vergangenheit reden. Nämlich über die Zukunft.
Vorsichtshalber fragen sie telefonisch bei »Oma und Opa« an, was sie von der Idee halten. Johannes stellt auf Lautsprecher, damit alle mithören können. Oma ist von der
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