Hirngespenster (German Edition)
Idee begeistert. Anna würde bestimmt nichts lieber tun, meint sie. Und es täte ihr ohnehin furchtbar leid, wie sie sich benommen habe. Sie meint, Anna würde sich mittlerweile sogar freuen, wenn sie auf diese Weise wieder an meinem Leben teilhaben könnte, selbst wenn ich davon nichts mehr mitbekäme. Wenn ihr wüsstet, denke ich. Oma sagt: »Sie wünscht sich nichts mehr, als Silvie beweisen zu können, dass sie es geschafft hat. Immer wieder sagt sie das: Wenn Silvie mich so sehen könnte.«
Aber da haben wir es doch! Dann soll sie doch kommen! Hektisch zerre ich an Sabinas Arm.
»Ich weiß nicht«, sagt sie und deutet auf mich. »Ich weiß nicht, wie sie auf sie reagieren wird.«
Tja, das frage ich mich in gewisser Weise auch, und mir wird plötzlich mulmig zumute.
Denn sicherlich wird sie mich kaum erkennen.
Silvie
Als ich genügend Luft geschnappt hatte und von meinem Rundgang zurückkehrte, nahm ich den direkten Weg ins Arbeitszimmer. Jens blätterte in Loseblatt-Sammlungen und sah überrascht auf, als ich in den Raum stürzte. »Was ist passiert?«, fragte er besorgt.
»Du hast Scheiße gebaut«, flüsterte ich und legte beide Hände vors Gesicht. Er erhob sich und nahm mich in den Arm. »Größere Scheiße als die, die wir ohnehin schon haben, ist es sicher nicht.«
»Aber doch! Wann willst du Anna denn erklären, dass sie in Wahrheit gar keine Versicherung hat?«
»Ich habe dir gesagt, wir helfen ihr. Und das tun wir.«
»Aber wie? Du hast keine Fünfhunderttausend!«, klagte ich und ließ mich auf dem Schreibtischstuhl nieder. Dann sah ich ihn flehend an. »Du musst das wieder geradebiegen, Jens, bitte! Am besten gleich, damit sich der Gedanke gar nicht erst bei ihr festsetzt.«
»Vertrau mir einfach. Sie hat eine Versicherung, basta. So habe ich es ihr erzählt. Es ist nicht so viel, wie sie dachte – aber sie kommt damit klar. Sie weiß nicht, dass es gar nichts gab. Alles, was ich von dir brauche, ist der Versicherungsschein von Johannes.«
Verwirrt sah ich ihn an. »Von Johannes ?«
Jens strich mir übers Haar. »Von Johannes. Für ihn machen wir eine neue Versicherung. Ich habe heute im Büro seinen Datensatz geändert – er heißt jetzt nicht mehr Johannes Jakobi.«
Ich verstand nur Bahnhof. »Sondern?«
Jens versuchte sich an einem Lächeln. »Matthias Ziegler.«
Atemlos ließ ich mir das auf der Zunge zergehen. Ein Versicherungstausch!? »Und das geht so einfach?«, fragte ich stirnrunzelnd.
Er lachte. »Nicht, wenn ich nicht den ursprünglichen Schein vernichten könnte. Wir hätten sonst zwei Versicherungen auf die gleiche Nummer. Wenn Johannes etwas zustoßen würde und du kämest mit dem alten Schein, dann würde es auffliegen. Aber so dürfte es keiner merken – Johannes kriegt einfach eine neue Versicherung.«
»Ach so, also ist es Betrug?«, fragte ich blöde.
»Ja, schon.«
»Mensch, Jens, das geht nicht. Wenn das rauskommt!«
»Das kommt nicht raus, ganz sicher.«
»Warum hast du nicht meine genommen?«, fragte ich. »Ich will Johannes da raushalten!«
»Du bist eine Frau. Ich kann keine Frau in einen Mann umwandeln, Silvie. Allein die angekreuzten Fragen nach den Schwangerschaften und dann die Größe, Gewicht, das muss alles einigermaßen übereinstimmen, und bei Johannes und Matthias stimmt sogar fast das Alter überein. Änderungen an Namen und Adresse dürfte keiner merken. Außerdem bin ich der Sachbearbeiter, und kein anderer wird sich die Mühe machen und ein Verlaufsprotokoll über die Datenänderungen ziehen.«
»Aber ein gewisses Restrisiko besteht?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ganz sicher nicht.« Etwas flackerte in seinen Augen, aber es mochte die Aufregung sein.
Diese Nachricht musste ich erst mal sacken lassen. Anna hatte Fünfhunderttausend, Halleluja. Ich spürte dem Gefühl in meiner Brust nach. Freude? Nicht so richtig. Aber, verdammt noch mal, ich sollte mich freuen! Anna bekam jetzt genug Geld, um sich vorerst die Bank vom Hals zu halten. Wir hatten genügend Zeit, sie in eine Klinik zu schicken; sie hatte genügend Zeit, sich danach in aller Ruhe einen Job zu suchen. Ich hätte schreien sollen vor Erleichterung, aber ich blieb stumm auf meinem Stuhl hocken. Dabei hätte ich ganz beruhigt sein können – nur Jens und ich wussten von der Sache. Alle anderen Beteiligten dachten, die Lebensversicherung habe von Anfang an existiert, allen voran Anna. Und inklusive Johannes, dessen Schein ich lediglich vernichten musste, weiter nichts;
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