Hirngespenster (German Edition)
Bei mir war das ja normal.
Sollte sie glücklich werden mit diesem Lackaffen, der zwar keinen Siegelring trug, dafür aber einen Seitenscheitel. Und wer im Anzug zum ersten Date mit den Schwiegereltern aufkreuzte, hatte in meinen Augen sowieso schon verloren.
Von dieser Lebensphase waren Johannes und ich meilenweit entfernt. Seine Mutter schenkte uns zum bestandenen Studium unsere ersehnte Reise nach Australien. Es war ein Liebesurlaub – der Druck der Prüfungen war weg, ein aufregendes Arbeitsleben lag vor uns. Wir waren gelöst und glücklich und hatten jede Menge Trinkwasser bei uns – das Einzige, das wir neben einem Zelt auf unserer Tour zum Überleben brauchten. Kein Gedanke streifte Anna oder Sabina, wenn ich tagsüber durch Schluchten kraxelte und nachts in den Sternenhimmel blickte, der sich über uns wölbte.
Ich bin gar kein romantischer Typ. Ich brauche weder Kerzenlicht noch Schmusesongs, um in Stimmung zu kommen. Aber dieser Sternenhimmel, der brachte uns so nah wie noch nie.
»Spürst du die Steine nicht?«, grinste Johannes in einer Nacht und rieb sich die Knie.
»Ist mir egal«, hauchte ich und küsste ihn.
»Wenn wir wieder zurück sind, ziehen wir zusammen«, flüsterte er. »Ich liebe dich, Silvie.«
Wir waren glücklich.
Rückblickend war es die beste Zeit meines Lebens – die Zeit in unserer Altbauwohnung im Stadtteil Sachsenhausen und mein Arbeitsbeginn bei der Frankfurter Rundschau, zunächst als Volontärin auf Vermittlung meines Vaters, dann als Online-Redakteurin. An lauen Sommerabenden schauten wir von unserem Balkon über den Main hinweg zur Frankfurter City. Ein immer wieder atemberaubender Anblick: die leuchtende Skyline bei Nacht oder die Kulisse der mittelalterlichen Gebäude, flankiert von Wolkenkratzern vor stahlblauem Himmel. Stundenlang saß ich auf dem Balkon, las in der Zeitung oder redigierte Artikel. Nur sehr selten dachte ich an Sabina. Johannes hatte mit ihr abgeschlossen – sonst wäre er wohl kaum mit mir zusammengezogen.
Wenn ich mir eine Zeit aussuchen dürfte, die ich noch einmal erleben möchte, dann wäre es diese. Wir hatten zwar ein geregeltes, aber trotzdem ein abwechslungsreiches Leben. Wir gingen oft ins Kino, sahen uns Ausstellungen an und frühstückten sonntags gerne in einem Straßencafé. Johannes arbeitete als Chemiker bei einer Firma, die Brauereianlagen herstellte, und erzählte gerne ironisch von seinen Kollegen, die eifrig dabei waren, sich Haus und Kinder anzuschaffen.
So wie er es schilderte, konnte ich davon ausgehen, dass sein Lebensplan anders aussah.
»Wer weiß«, scherzte ich, »vielleicht werden wir auch irgendwann Eltern.«
Er betrachtete mich nachdenklich. »Vielleicht«, grinste er schräg. »Irgendwann.«
Gut, vielleicht irgendwann. Ich ignorierte die Frage, die in meinem Hinterkopf hämmerte, und dachte: Anna bekommt Kinder, das reicht.
Als Anna zur Besichtigung kam, brachte sie mir eine Orchidee mit. »Du hast es dir schön gemacht«, sagte sie anerkennend und blickte vom Balkon über den Main zur Innenstadt. »Mir wäre es zwar zu laut«, ergänzte sie mit Blick auf den langsam rollenden Verkehr unter uns, »aber solange man keine Kinder hat, ist das okay.«
Wir blickten auf ihren Bauch, der sich bereits leicht wölbte. Sie war im vierten Monat schwanger und steckte in den Vorbereitungen für ihre Hochzeit und ihren Umzug in eine Bad Homburger Doppelhaushälfte. Alles sollte perfekt werden; neben der Arbeit und den Hochzeitsvorbereitungen streifte sie durch exquisite Möbelhäuser der Umgebung und beschäftigte sich mit Feng-Shui. Seit unserer Kindheit hatte ich sie nicht so glücklich gesehen. Sie war viel netter geworden – der bissige Unterton war weg. Es sei denn, die Sprache kam auf die Dinge, für die ich gerne Geld ausgab und die sie für überflüssig hielt, wie Reisen zum Beispiel.
Es war mir lediglich ein Rätsel, was sie an Matthias fand. Johannes und ich nannten ihn »die A-Klasse« – er war immer wie aus dem Ei gepellt in seiner Kompaktheit. Und stolz auf seine Leistungen als Mitglied des CDU-Ortschaftsrats oder als Vorsitzender des Lions Club. Neben ihm verblasste sie. Meiner Meinung nach bewunderte sie ihn ein bisschen zu sehr. Immerhin war es nicht so, dass es gar nichts gab, auf das sie stolz sein konnte. Sie konnte doch was! Aber es war nicht mein Leben. Sollte sie glücklich werden mit Matthias, der eifrig damit beschäftigt war, Klienten zum »Lunch« bei Giovanni, einem Edelitaliener,
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