Hirngespenster (German Edition)
als führte ich ein Interview.
»Sie kämen auf die Warteliste.«
»Aber ich würde heute schon die Anmeldung ausfüllen.«
Ein Lachen. »Das geht nicht.«
»Okay, die Warteliste. Wie lang ist die?«
Spätestens dann schüttelten meine Gesprächspartner den Kopf. »Werden Sie erst einmal schwanger. Dann sehen wir weiter.«
Man kann sagen, ich hatte nichts in der Hand. Was nichts daran änderte, dass inzwischen die Uhr unerbittlich in mir tickte. Dabei wollte ich gar nicht, dass sie tickte! Johannes hatte ja recht! Warum sollte man alle Freiheiten freiwillig aufgeben? Es war doch klar, dass mit Kindern vieles nicht mehr möglich wäre. Außerdem hatte ich einen tollen Beruf, traf jede Menge interessante Menschen – der gute Grund, der für Kinder sprach, lag nicht gerade auf der Hand. Gegen Kinder hingegen sprach jede Menge. Wir verdienten beide gut, wir konnten uns alles leisten – warum also zurückschrauben?
Aber die Sache war die: In einem der Kinderläden war ein kleiner Junge unvermittelt auf meinen Schoß geklettert. Mehr als verdattert blinzelte ich ihn an, als er auf mich draufkletterte, doch er blieb während des ganzen Gesprächs sitzen und nuckelte am Daumen. Weißblonde Ringellöckchen kringelten sich hinter seinen Ohren, und er duftete nach Maggi. In seinen braunen Kulleraugen hätte ich versinken mögen. Der kleine Junge ging mir nicht aus dem Kopf, und ich sagte mir: Wir könnten ihn mit nach China nehmen – warum nicht? Oder nach Australien. Wenn man ihn früh genug daran gewöhnte?
Doch Johannes wollte nicht.
»Du willst mich nicht«, sagte ich und wischte mir die Augen.
Er widersprach mir nicht einmal, wiegelte ab, er bräuchte noch Zeit.
»Wie viel Zeit?«, fragte ich.
Den Zeitraum, den er nannte, dachte er sich aus; er wollte lediglich seine Ruhe vor mir haben. »Gib mir sechs Monate«, sagte er, »dann sehen wir weiter.«
Zwei Monate lang schliefen wir nicht miteinander, und ich fragte mich schließlich, wofür ich eigentlich die Pille einnahm. Er schlief nicht mehr mit mir, und ich wollte ein Kind. Zwei Dinge, die gegen die Pille sprachen.
Ohne Johannes etwas zu sagen, setzte ich sie ab und griff jeden Abend auf meinem Nachttisch ins Leere. Ich wollte Johannes bei nächster Gelegenheit über meinen Entschluss informieren, wenn sich eine Gelegenheit bot – nicht gerade einfach so beim Frühstück. Es musste schon passen. Nicht wie ein Druckmittel. Sollte er doch verhüten – ich war damit durch.
Ich wusste nicht mehr, wie sich ein Eisprung anfühlt, dass man nur noch an Sex denkt, egal wie und wo. Mir weichte der Slip durch, und ich roch anders. Johannes muss es auch gerochen haben, er schob seine Hand in meine Hose. Kein Gedanke streifte den nicht vorhandenen Pillenstreifen auf meinem Nachttisch.
Ich bekam einen riesigen Schreck, zuerst am Abend danach, als ich – noch immer wahnsinnig scharf auf ihn und in Gedanken auf die nächste Nummer – wieder ins Leere griff, und dann als ich den Test machte – beides ohne sein Wissen. Die Hoffnung stirbt zuletzt, so sagt man, und diese Hoffnung starb auf der Damentoilette der Frankfurter Rundschau.
Er warf mir nie vor, dass ich ihn reingelegt hätte – aber dass er innerlich kochte, als ich es ihm beichtete, war nicht zu übersehen. Er legte den Kopf in die Hände, ohne ein Wort zu sagen. Allein an meiner Verzweiflung und daran, dass ich zuvor tagelang um ihn herumgeschlichen war, in denen er mich gefragt hatte: »Silvie, was ist denn?«, muss er gemerkt haben, dass ich nichts dergleichen im Schilde geführt hatte. Trotzdem strafte er mich mit Nichtachtung. Vielleicht konnte er nicht anders.
Etliche Tage ging er mir aus dem Weg, verkroch sich hinter seinem Laptop und spielte Kriegsspiele. Bis ich schließlich sagte: »Ich lasse es wegmachen, Johannes, es hat keinen Sinn.«
Er blickte nicht einmal auf, führte Kriege gegen Soldaten aus fremden Welten.
In meinem Kopf fand ein anderer Krieg statt. Es gab mehrere Beteiligte: die Schuld, die Angst und den Kinderwunsch.
»Weißt du«, sagte ich nach einigen Tagen, »wenn du dich hinterher sowieso von mir trennen willst – und wir sind auf dem besten Wege –, dann kann ich es auch behalten.«
»Du spinnst wohl«, sagte er und blinzelte.
»Nein, ich meine: Dann ist es doch eigentlich meine eigene Entscheidung – wenn ich solo wäre. Eine alleinerziehende Mutter, meine ich.«
»Das kann nicht dein Ernst sein«, tippte er sich an die Stirn.
Ich weinte tagelang, an denen er
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