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Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Keller
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ihrer Mutter. Sie wollten sich treffen, nur mal so, auf einen Nachmittag, vielleicht auch Abend. Ich tat erfreut und beglückwünschte ihn. »Na, das ist doch toll Johannes! Endlich seht ihr euch mal wieder, nach so langer Zeit«, klopfte ich ihm aufmunternd auf die Schulter. Den Kloß in meinem Hals schluckte ich hinunter. Johannes tat verhalten. Aber ich wusste, dass er total aufgeregt war; zwei Jahre hatten sie sich nicht gesehen. Er hatte rote Punkte am Hals, die ich bisher nur von ihm kannte, wenn er eine Klausur vor sich hatte oder einen Zahnarztbesuch. Freiburg. Gott sei Dank wohnte sie nicht in der Nähe. Gleichzeitig katastrophal, denn er musste sie besuchen, und das hieß: mindestens eine Übernachtung. Die Katze in meinem Bauch machte es sich bequem und drückte auf den Magen.
    Ich aß nichts, bis er wieder aus Freiburg zurück war. Er rief mich an und sagte: »Bin wieder da.«
    »Ja«, hauchte ich. »War’s schön?«
    Er schnaubte. »Die ganze Freiburger Familie war dabei. Man hat uns keinen Moment aus den Augen gelassen.«
    Ich dachte ein paar Sekunden über diese Antwort nach, die keine war. »Noch Gefühle?«
    »Worüber zerbrichst du dir eigentlich den Kopf?«, wollte er wissen. Aggressiv, wie mir schien. »Sie geht wieder zurück.«
    Ich schluckte und schwieg.
    »Komm Silvie, mach keinen Stress. Sie ist mir mittlerweile sowieso zu jung«, sagte er.
    »Ach? Ist sie nicht älter geworden?«
    Er lachte gekünstelt. »Ob du’s glaubst oder nicht – irgendwie nicht. Wie achtzehn wirkt sie nicht. Und ein bisschen zu amerikanisch, wenn du mich fragst.«
    »Baseballkappe?«
    Er zögerte. »Genau. Sie ist nicht mehr …. mein Typ.«
    Doch da war etwas in seiner Stimme, das sagte das Gegenteil. Ich drängte die Furcht beiseite – immerhin ging sie wieder zurück, sie würden sich nie wieder sehen, er gehörte mir. Sollte ich mir den Kopf darüber zerbrechen? Besser nicht.

    Als es dunkel um mich herum war und ich nur still lauschen konnte, da haben Sabina und Johannes viel gequatscht. Viel Mist, wenn man mich fragt, aber mich fragt ja keiner. Ich verstehe bis heute nicht so ganz, um was es dabei genau ging. Auch um Anna, und dass sie nicht zu Besuch kommen wollte, weil alles noch so frisch war. Weil sie es nicht verkraften konnte, mich zu sehen.
    Aber inzwischen ist es doch nicht mehr frisch. Warum kommt sie dann nicht? Liegt es vielleicht doch an mir?
    So grausam kann sie doch nicht sein.
    Vor meiner Dunkelheit, als ich nicht einmal etwas hören konnte, muss einiges passiert sein, von dem ich keine Ahnung habe. Wie lange dieser Zustand andauerte, weiß ich nicht, aber wenn ich danach gehe, wie groß meine Jungs inzwischen geworden sind, dann kann es so kurz nicht gewesen sein.
    Irgendwann vernahm ich dann Stimmen, wie durch Watte. Sie machten sich Sorgen, weil ich so ruhig war. »Sie bewegt sich kaum«, sagte Sabina oft und legte mir die Hand auf. Sehr zärtlich und besorgt, das muss ich zugeben. Aber hätte ich gewusst, um wen es sich bei ihr handelt, hätte ich ihr einen ordentlichen Tritt verpasst. Bestimmt hätte sie es sich auch niemals träumen lassen, dass sie sich eines Tages um mich kümmert. Und trotzdem tut sie es. Man kann nie wissen, welche Überraschungen das Leben für einen bereithält.

    Als ich kurz vor meinem Studienabschluss stand, lernte Anna einen Mann kennen. Matthias Ziegler. Ein Mann wie aus dem Bilderbuch – ihrer Meinung nach jedenfalls. Aufsteigender Immobilienmakler, Anfang dreißig, der die Welt erobern wollte. Sie wollte Kinder und ein Haus – das passte zu seinem Image. Ich hatte mich in den Jahren zuvor schon des Öfteren gefragt, ob Anna noch Jungfrau war. Und ich bin davon überzeugt, dass ich es gewusst hätte, wenn sie nicht Leukämie bekommen hätte und nicht so entsetzlich verschlossen geworden wäre. Mittlerweile weiß ich natürlich, dass sie es noch war. Sie lernten sich bei der Arbeit kennen. Anna war mittlerweile bei einem Bekleidungsausstatter für Maßanzüge angestellt, und Matthias war einer ihrer Stammkunden.
    Als sie mich ihm vorstellte, sagte sie: »Das ist meine gebildete Schwester Silvie.«
    »Darauf muss man sich nichts einbilden«, erwiderte er, und ich sagte für den Rest des Nachmittagskaffees nichts mehr. Ich hatte gerade meine letzten Prüfungen beendet und hätte allen Grund gehabt, darauf anzustoßen. Einmal ein Glas Sekt zu erheben darauf, dass sich alle Anstrengung gelohnt hatte. Aber es war ja nur ich, die ihr Diplom in der Tasche hatte.

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