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Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Keller
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kannst dir eine Wohnung leisten.«
    Diesmal tippte sie sich an die Stirn. »Bei dir piept’s wohl. Ich spare mein Geld für ein Haus. Meinst du, ich will später mal zur Miete wohnen? Nein, danke.«
    Ich konnte nur den Kopf schütteln. Ich sprach mit einer 22-Jährigen, die eine Küche wollte und auf ein eigenes Haus sparte. Für mich unvorstellbar. Aber mein Gott, sollte sie ihre beschissene Küche haben. Mit ihr unter einem Dach zu leben – dazu hatte ich keine Lust mehr. Sie klopfte sogar morgens, wenn ich später Vorlesung hatte, an meiner Zimmertür und rief »Aufstehen!«, bevor sie zur Arbeit ging. Wie eine Gefängniswärterin oder so was. Ich sprach mit meinen Eltern und sagte, es sei weitaus praktischer für mich, in der Nähe der Uni ein Zimmer zu haben, als jeden Tag die lange Fahrt nach Frankfurt auf mich zu nehmen. Ich glaube, sie ahnten, dass ich den Kanal voll hatte, doch sie verschwendeten kein Wort daran. Im Gegenteil. Wenn meine Eltern etwas planen konnten, dann waren sie glücklich, und nun suchten wir eben ein Zimmer für mich.
    Johannes fragte ich klopfenden Herzens: »Wollen wir vielleicht zusammenziehen? Wir könnten uns die Miete teilen.« Ich stellte es mir wunderbar vor, morgens mit ihm in der eigenen Wohnung aufzuwachen, Sex zu haben, danach einkaufen zu gehen oder zu joggen. So erwachsen.
    »Ich denk mal drüber nach«, sagte er.
    Nach zwei Wochen fragte ich: »Du willst nicht, stimmt’s?«
    »Ich bleib noch ein bisschen bei meiner Mutter«, war seine Antwort.
    Ich nickte und schluckte die Enttäuschung hinunter. Seine Mutter war kaum zu Hause, reiste viel in der Weltgeschichte herum.
    »Silvie«, streichelte er mir die Wange, »es hat rein gar nichts zu bedeuten, glaub mir.«
    »Ok«, nickte ich wieder. Dachte an das Foto, das zwar nicht mehr neben seinem Bett hing, aber im Regal zwischen Büchern stand. Immer an einer anderen Stelle.

    Als Anna mit meinen Eltern zur Besichtigung der fertig eingerichteten Einzimmerwohnung kam, setzte sie wieder diesen schmollenden Blick auf. Sie strich über die Lehne meines schwarzen Zweisitzersofas und sagte: »Du studierst noch und hast trotzdem schon deine eigene Wohnung.«
    »Zimmer eher«, entgegnete ich.
    »Keiner kann dir mehr sagen, was du zu tun und zu lassen hast. Nicht so wie bei uns zu Hause. Seitdem du weg bist, steht Mama ständig bei mir oben und will mit mir schwatzen. Das nervt!«
    Ich verschränkte die Arme und musterte sie ungeduldig.
    »Naja«, fuhr sie fort, »wenn man so gebildet ist wie du und eine eigene Wohnung hat – was interessiert einen dann noch die eigene Schwester? Interessiert auch keinen zu Hause, dass ich schon lange mein eigenes Geld verdiene und sparsam bin. Immer heißt es nur Silvie hinten, Silvie vorne. Unsere Tochter studiert in Frankfurt «, äffte sie.
    »Anna, was willst du eigentlich?«, fragte ich.
    Ihr Blick flackerte. »Einfach nur meine Ruhe«, sagte sie schließlich und wandte sich von mir ab.
    Die konnte sie haben.

    Johannes kam oft zu mir, und ich fühlte, dass ihn die Tatsache, nicht mit mir zusammengezogen zu sein, belastete. Eines Tages übergab er mir einen Briefumschlag, den ich halb amüsiert, halb misstrauisch öffnete. Was sollte das jetzt bedeuten? In dem Umschlag lag der Grundriss eines Zimmers, unter dem Grundriss stand eine Adresse, die mir sehr bekannt vorkam – es war meine Straße. Er hatte sich eine Wohnung ganz in meiner Nähe genommen, mit einem Kommilitonen zusammen – Sven, einem etwas dicklichen Typen mit bereits licht werdendem Haar und großen Händen. Ich wusste genau, was das zu bedeuten hatte. Er wollte in meiner Nähe sein. Immerhin.
    Doch was sonst noch so in seinem Kopf herumspukte, konnte ich nur erahnen. Eines Nachmittags, als wir in der Stadt unterwegs waren und Dinge wie Toilettenpapier und Küchenschwämme kauften, trug er mir in der Drogerie eine Packung Haartönung hinterher. »Braun würde dir auch gut stehen«, sagte er, und hielt mir prüfend die Packung an den Kopf.
    Ich zeigte ihm einen Vogel. »Braun?«, fragte ich. »Braun steht mir überhaupt nicht. Ich würde aussehen wie ein Straßenköter!«
    »Nicht, wenn du dir die Haare auf Kinnlänge abschneiden würdest«, entgegnete er und nahm beide Hände, um meine langen fransigen Spitzen so hinzubiegen, dass eine weiche Welle meinen Schädel umrahmte.
    Ich ging aus dem Laden und schaute mich nicht einmal um.

    Dann kam Sabina zu Besuch nach Deutschland, zu einer Austauschfamilie in Freiburg, der Heimat

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