Hirngespenster (German Edition)
einzuladen, während sie die Doppelhaushälfte wienerte.
Ihre erste Tochter Luna kam 1998 zur Welt. Ein schüchternes blondes Ding mit langen staksigen Beinen, das angeblich aussah wie ich. Ich stritt das ab, Matthias auch – alle anderen waren jedoch einhellig dieser Meinung. Knapp ein Jahr später kam Emma, danach Clara zur Welt. Die beiden sahen aus wie Matthias. Sie hatten die gleiche hohe Stirn und die gleichen tiefliegenden Augen und waren ebenso kompakt in der Statur: beide keine Schönheiten, aber süß in ihrer Art. Wenn ich zu Besuch kam, stürmten sie zur Haustür und überschlugen sich fast vor Eifer, halfen beim Ausziehen von Jacke und Schuhen, wohingegen Luna an der Wand lehnte und verschämt lächelte. Ich fragte mich immer, wie Anna es fertigbrachte, jederzeit so adrett auszusehen – das Haus war immer picobello aufgeräumt, trotz der drei kleinen Kinder –, das war schon beeindruckend. Der Lappen in ihrer Hand schien darin festgewachsen zu sein – er war ihr stetiger Begleiter. Ständig wischte sie den Tisch und danach die Hände und Münder ihrer Kinder. Ich hätte eine andere Reihenfolge vorgezogen – wenn überhaupt.
Luna setzte sich im Gegensatz zu ihren Schwestern nie freiwillig zu jemandem auf den Schoß; sie stocherte meist in ihrem Essen herum oder blickte verträumt in die Gegend. Matthias taute lediglich auf, wenn man ihn auf Fachthemen der Immobilienbranche ansprach. Ein Lachen konnte ihm jedoch auch dieses Thema nicht entlocken. Der guten Ordnung halber und um sich als Erziehungsberechtigter zu outen, richtete er ab und zu ein Wort an die Kinder, das er zu unserer Belustigung auf Englisch vorbrachte: »Emma, stop wining!«, oder: »Clara, sit down please, will you«, oder »Luna, don’t be so silly«.
Als ich es das erste Mal hörte, fragte ich perplex: »Bist du Engländer?«
Er schürzte die Lippen. »Man kann nicht früh genug mit der Zweisprachigkeit anfangen, Silvia. Es schult das Gehirn.«
Ich lachte auf und warf Johannes einen Blick zu, der sagen sollte: Meint er das ernst, oder nimmt er mich auf die Schippe? Doch er meinte es ernst. Fühlte sich wahnsinnig eloquent.
Anna fand das super. Matthias sei für die mehrsprachige Erziehung ihrer Töchter zuständig, erklärte sie, und sie dafür, dass »alles seine Ordnung hat«.
»Klingt nach guter Aufgabenteilung«, lästerte Johannes später.
»Ja«, sagte ich. »Schrecklich gut.«
Doch auch wenn mich Annas Leben abschreckte und ich mir nie hätte vorstellen können, in einer Doppelhaushälfte zu enden – mit den Jahren kam ein Gefühl der »Unkomplettheit« in mir auf, das ich anfangs kaum definieren konnte. Die Sehnsucht nach einem Wesen, das nach Himmel roch und dessen feiner Haarflaum auf dem Kopf sich unter den Fingerspitzen anfühlte wie Mohair, meldete sich diesmal lauter. Johannes versuchte es erneut diplomatisch. Er wolle schon, nur jetzt noch nicht. Wir lagen im Bett und sahen fern – vielleicht nicht der beste Moment, um das Thema anzusprechen.
»Naja«, sagte ich und setzte mich auf, »wenn man sich darauf einigt, irgendwann Kinder zu wollen, und das mit Anfang dreißig, wird meist nie etwas draus.«
»Was für ein Quatsch«, erwiderte er und wandte den Blick nicht vom Bildschirm. »Wir müssten alles aufgeben. Gerade das Reisen. Und deine Arbeit. Wofür hast du studiert? Lass uns noch ein paar Jahre warten.«
»Ich weiß, dass du an Anna denkst und wie es bei ihr läuft«, erwiderte ich. »Aber bei uns würde das ganz anders werden, es würde sich gar nichts ändern. Ich gehe weiter arbeiten, wir suchen uns eine Krippe.«
»Soso«, sagte er. »Aber, wenn sich nichts ändern soll, warum willst du dann ein Kind?«
Wo er recht hatte … Warum also wollte ich ein Kind?
Plötzlich hörte ich mich fragen: »Wollte Sabina Kinder?«
Endlich nahm er den Blick vom Fernseher und verschränkte die Arme. Den Blick voller Ablehnung. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Spielt das eine Rolle für dich? Für mich nicht.«
»Ist schon gut«, sagte ich kleinlaut, »ich weiß überhaupt nicht, wie ich auf diese Frage gekommen bin.«
Um bessere Argumente in der Hand zu haben, besuchte ich Kinderläden, Krippen und Kindergärten in der Stadt. In der Tat, es waren einige.
Man sah mich verdutzt an, als ich dort vorsprach. »Sie sind noch nicht einmal schwanger?«, fragte man mich.
»Wenn ich schwanger würde und – sagen wir – das Kind im April käme, ab wann könnte ich mit einem Platz rechnen?«, fragte ich,
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