Hirngespenster (German Edition)
weiter hinter seinem Laptop saß und nicht aufsah. Er schlief auf dem Sofa, sperrte das Bad ab, wenn er darin war. Schließlich klappte er den Laptop zu und setzte sich zu mir. »Es tut mir leid, Silvie, ich war … im Schock«, sagte er und nahm mich in den Arm.
»Aber ich doch auch«, flüsterte ich.
Er küsste mich und hielt mich fest, als ich weinte. Schließlich flüsterte er: »Wenn wir Eltern werden, dann sollten wir heiraten.«
Wie hätte ich wissen sollen, woher sein Sinneswandel kam? Ich dachte, er hätte wirklich Zeit gebraucht, die Neuigkeit zu verdauen. Ich dachte nur an das Kind in meinem Bauch, das offensichtlich der Grund dafür war, dass er seit der Zeugung keine Lust mehr auf mich hatte. Ich dagegen umso mehr.
An Sabina dachte ich nicht.
Eines Abends nach Johannes' und meinem Entschluss zu heiraten, rief Anna mich an. Sie fragte, ob ich Lust hätte, mit ihr auf ihrer schönen Terrasse in der Abenddämmerung zu sitzen. Ich hatte ihr kurz zuvor erzählt, dass ich schwanger war, und sie hatte mir euphorisch gratuliert. »Na endlich!«, hatte sie gerufen – ganz so, als habe ich endlich einmal ihre Erwartungen erfüllt.
Kaum war ich dort, kritisierte sie sofort an mir herum. »Du rauchst zu viel«, begrüßte sie mich. Dabei war das Gegenteil der Fall. Ich rauchte so gut wie gar nicht mehr, besonders seitdem ich schwanger war. Und selbstverständlich wollte ich es ganz aufgeben, ich rauchte nur noch zwei am Tag. Anna regte das auf. »Man soll mindestens drei Monate vor der Schwangerschaft damit aufhören und Folsäure einnehmen, um dem Kind die optimalen Bedingungen zu geben!«, sagte sie und stellte mein Wasserglas auf einem Untersetzer ab, damit ihr Teaktisch keine Flecken abbekam, »und was machst du?«.
»Wenn ich vor drei Monaten gewusst hätte, dass ich schwanger werde, hätte ich das so machen können«, sagte ich, »aber so ist es nun mal nicht.« Schwungvoll schnippste ich meine Asche in ihr Blumenbeet.
»Außerdem bekommst du später Krebs«, sagte sie noch.
»Erzähl nicht so einen Scheiß«, erwiderte ich. »Du hattest selbst Krebs, und du hast nicht geraucht.«
»Ich werde auch niemals rauchen«, antwortete sie und wischte mit dem Lappen über den Tisch, weil ein Tröpfchen Kondenswasser von meinem Glas daraufgetröpfelt war. »Und ich geh regelmäßig zur Vorsorge, das kannst du mir glauben!«
Ich glaubte es ihr unbesehen. Es war fast zwanzig Jahre her, dass sie Krebs gehabt hatte, und noch immer sprach sie davon – was vielleicht normal war. Im Gegensatz zu ihrer augenscheinlichen Nervosität. Ständig erhob sie sich, ging ins Haus. Zuerst dachte ich, sie wolle etwas holen, sah ihr hinterher und wartete ab. Wenige Minuten später kehrte sie mit leeren Händen zurück und setzte sich wieder hin. Die Unterhaltung lief schleppend, permanent unterbrochen durch ihr Verschwinden. Hatte sie einen Braten im Ofen, den sie kontrollierte?
»Was ist eigentlich los?«, fragte ich schließlich irritiert, nachdem sie zum vierten Mal verschwunden war.
»Nichts«, sagte sie und verschränkte die Hände auf der Tischplatte.
»Und wie läuft' s bei dir so?«, erkundigte ich mich, da sie keinen Ton von sich gab.
»Guut. Sehr gut«, sagte sie, griff nach ihrem Lappen und wischte über den Tisch. Dann wandte sie den Kopf zur Seite, als lausche sie, und flüsterte: »Wir sollten etwas leiser reden, ich glaube meine Nachbarin sitzt auf ihrer Terrasse.«
Ich betrachtete skeptisch die gut dreieinhalb Meter entfernte Holzpalisade, die Annas Terrasse von der ihrer Nachbarin Christine Brückner trennte. Ich hatte sie noch nie gesehen, wusste nur, dass ihr Mann den Garten machte – er war Landschaftsarchitekt. Ich flüsterte zurück: »Das sind gut sechs Meter.« Außerdem war unser Gespräch – wenn man es denn so nennen konnte – nicht gerade brisant. Dann sagte ich etwas lauter: »Schönes Wetter heute, was, Anna?«
Sie schüttelte den Kopf und legte den Finger an die Lippen. »Silvie, bitte.«
Ich hob eine Augenbraue. »Seid ihr im Clinch?«
Anna fuhr mit dem Lappen über die Stuhllehne und sagte: »Weniger. Es ist eher so, dass sie gar nichts mit mir redet. Grüßt mich auch nicht.«
»Aha. Wieso?«
»Was weiß ich! Die Kinder sind zusammen im Kindergarten, aber wenn Clara und Emma draußen sind, ruft sie ihre Mädchen rein.«
»Boah, wie ätzend.«
»Genau. Ich glaube, sie hat was gegen mich.«
»Hm.« Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. »Und sonst?«, fragte ich und
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