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Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Keller
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Beifahrersitz. Ihre Tasche war im Wagen vor ihr, neben Matthias. Er bog eben ab in Richtung Kindergarten.
    Anna fuhr rechts ran, öffnete die Autotür und übergab sich.
    Einige Autofahrer hupten, keiner hielt an.

    Wie sie nach Hause gekommen war, wusste sie später nicht mehr zu sagen. Sie lag im Bett, ihre Tabletten neben sich auf dem Nachttisch – zwei fehlten, sie hatte sie offenbar schon intus –, und fühlte eine behagliche Schwerelosigkeit.
    Luna saß am Fußende ihres Bettes und summte.

    Zwei Wochen später hatte sie sich einigermaßen akklimatisiert, und Matthias hatte die Nase voll, meinte, sie solle die Kinder wieder selbst zum Kindergarten bringen.
    »Abholen auch?«, fragte sie bestürzt.
    »Sicher! Ich habe keine Lust mehr, ewig den Chauffeur zu spielen. Und dazu kommt, dass deine Haare auch viel zu langsam wachsen. Da müsste ich drei Monate die Kinder bringen, bis du wieder einigermaßen erträglich aussiehst. Ich muss mittags wieder länger zu Giovanni, man trifft dann mehr Leute. Ich muss auch mal wieder was verkaufen, Anna!«
    Du hast schon lange vorher nichts verkauft, lag ihr auf der Zunge, doch sie verkniff es sich lieber. Offensichtlich war aus dem sogenannten großen Deal doch nichts geworden. Stattdessen dachte sie voller Grauen an das Bringen und Abholen der beiden Mädchen. Dabei lief besonders morgens im Moment alles so viel ruhiger ab, weil sie sich nicht gleichzeitig auch noch fertig machen musste, um die beiden aus dem Haus zu bringen. Sie hatte viel mehr Zeit für Luna, die morgens ja auch noch ihre Aufmerksamkeit brauchte und dann zu Fuß zur Schule ging.
    In letzter Zeit hatte sie es geschafft, für alle die Pausenbrote zu machen, sogar mal einen Apfel zu schneiden. Alleine dadurch, dass Matthias auch ein bisschen Dampf machte, weil er pünktlich aus dem Haus musste. Und nun das wieder.
    »Steh früher auf«, sagte Matthias, nachdem sie versucht hatte, ihm ihre Situation zu erklären, und band sich weiter seine Krawatte.
    »Vielleicht könnten wir uns das morgens teilen? Du kümmerst dich um Clara und ich mich um Luna und Emma?«, flehte sie.
    Er tippte sich an die Stirn. »Um was muss man sich bei Luna bitteschön kümmern? Sie macht doch sowieso alles selbständig.«
    Ja, das tat sie. Aber mal ein liebes Wort zwischendurch, eine Umarmung für das Kind. Dafür blieb nie Zeit. »Sie braucht mich noch, Matthias«, bat sie erschöpft.
    Er lächelte ihr aufmunternd zu und richtete seine Manschettenknöpfe. »Du schaffst das schon, Anna«, sagte er und hob den Zeigefinger. »Du bist ja nicht krank. Andere Mütter schaffen das auch mit Leichtigkeit – so viel ist es nun auch wieder nicht. Es wird Zeit, dass du wieder ein paar Aufgaben übernimmst.«
    Ich kann nicht, dachte sie.

    Und sie konnte wirklich nicht. Am nächsten Morgen lag sie reglos auf dem Rücken im Bett, der Radiosprecher verlas die Staumeldungen nach einem schweren Unfall auf der A5, und sie war nicht einmal in der Lage, ihren Arm aus dem Bett zu schieben und den Radiowecker auszustellen. Sie wollte liegen bleiben und schlafen. Keine Kinder wecken, keine Kleider heraussuchen, keinen Tisch decken, keine Brote schmieren, sich nicht fertig machen. Sie wollte nicht aus dem Haus. Nicht mehr nach dem Debakel vor der Arztpraxis, wo sie fast ihren Verstand verloren hätte. Und so viel Geld an den Autohofbesitzer.
    »Anna, der Wecker ist an«, murmelte Matthias neben ihr und stieß sie mit dem Finger an.
    Es ist mir zu viel, dachte sie wieder und kämpfte gegen die Tränen an, die sich ihren Weg bahnen wollten, unnachgiebig durch den Tränenkanal nach außen. Ich kann nicht. Dass sie laut gesprochen hatte, hatte sie gar nicht bemerkt.
    »Was heißt hier, ich kann nicht?«, fragte Matthias empört von seiner Seite des Bettes und richtete sich auf. »Natürlich kannst du! Soll ich jetzt auch noch allein aufstehen und alles erledigen, und du machst gar nichts mehr?«
    »Bitte fahr sie nur in den Kindergarten, Matthias, bitte«, flehte sie. Dann steh ich auf.
    Doch Matthias hatte kein Verständnis mehr. Wie bei einem ungehorsamen Kind zog er ihr die Bettdecke weg und entblößte ihre nackten Beine, die sie reflexartig anwinkelte. Innerlich schrie sie auf. Ich hasse dich, schrie sie. Ich hasse dich.

    »Frau Ziegler, ich rate Ihnen dringend zu einer Therapie«, sagte Dr. Kreiling, ihr Hausarzt in Bad Homburg, zu dem sie sich direkt nach dem Kindergarten auf den Weg gemacht hatte. Sie brauchte einen Vorrat an Pillen; wer konnte denn

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