Hirngespenster (German Edition)
er bedächtig und blickte kurz ins Leere. Er schien nicht ganz zu glauben, was ich da von mir gab. »Wir werden sehen, Silvie. Auf jeden Fall wäre es nett, wir blieben – wie sagt man – in Kontakt.« Entschlossen schwang er die Beine aus dem Bett und zog sich seine Boxershorts an, den Blick stur auf den Boden gerichtet.
Ich wuchtete meinen Bauch herum und sah ihn an. »Hattest du eine Langzeitbeziehung angestrebt, Jens?«, fragte ich betont locker.
Er musterte mich wütend. »Mir leuchtet nicht so ganz ein, Silvie, warum man etwas Gutes einfach so an den Nagel hängen sollte. Sicherlich werden die Umstände andere sein, du wirst weniger Zeit haben, auch gut, aber wieso denn vorbei ?«
»Naja«, sagte ich verunsichert, »ich bin doch dann auch nicht mehr schwanger. Du hättest eine luftig schlabbernde Bauchhülle und zwei tropfende Brüste vor dir – du solltest froh sein, dass du um diesen Anblick herumkommst.«
Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Hörst du dich eigentlich selbst reden? Du meinst also, in meinem Vokabular bist du reduziert auf diejenige mit dem dicken Bauch, den vollen Titten und den geschwollenen Schamlippen?«
»Äh, nein«, antwortete ich, »ich dachte …«, setzte ich an, doch Jens drehte sich weg, zog Jeans und T-Shirt über und griff nach Portemonnaie und Schlüssel auf dem Hoteltisch. Er lief zur Tür und warf mir einen letzten Blick zu. Dann war er weg.
Ich blickte noch lange auf die Tür, durch die er verschwunden war.
Als hätte ich ihn davongejagt.
Eine Viertelstunde später ging auch ich aus dem Hotel, trat auf den Bürgersteig, wandte mich um und blickte an der Fassade nach oben, bis zur Balustrade im letzten Stock, wo sich die Bar befand. Hier würde ich nicht mehr herkommen, so wie es aussah. Der Gedanke schmerzte, aber andererseits war es doch das, was ich wollte. Trotzdem war ich von Jens' Reaktion schockiert, mit der ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Wieso reagierte er so? War etwa nicht von Anfang an klar gewesen, dass nach der Geburt zwischen uns nichts mehr laufen würde? Offenbar nicht. Hatte ich vergessen, dies zu erwähnen?
Schließlich gab ich mir einen Ruck, zog mein Handy aus der Tasche und versuchte, Anna zu erreichen. Ich wollte sowieso hören, wie es ihr ging, und wäre für ein wenig Ablenkung dankbar gewesen. Es klingelte lange ins Leere, der Anrufbeantworter sprang nicht an. Schließlich versuchte ich es bei meinen Eltern, die Emma und Clara bei sich hatten. Meine Mutter erzählte mir schmunzelnd davon, dass sie am Vortag beim Aufräumen in Annas Haus in Lunas Kinderzimmerschrank einen Vorrat an teilweise halb vollen Joghurtbechern vorgefunden hatte und dass Luna nicht davon abzubringen gewesen sei, ihre Mama habe sie dort hineingetan. Halb verschimmelter Joghurt! Wir lachten ein erlöstes Lachen. Kinder! Außerdem versicherte sie mir, mit Anna sei alles in bester Ordnung, sie habe mit ihr telefoniert, und Anna habe ihr berichtet, dass sie einen Ausflug mit Luna plane. Das Kind sei in letzter Zeit viel zu kurz gekommen. Das hörte sich gut an und bestätigte mich in meiner Meinung, dass alles normal lief. Wenn ich es genau nahm, so konnte ich mich jetzt voll auf meine Ehe konzentrieren, auf Johannes und Nils. Und ich konnte mich auf das neue Baby einstimmen. Die Sache mit Anna war erledigt. Und die mit Jens auch. Ich verstaute mein Handy in der Tasche und machte mich auf den Heimweg.
Unterwegs hing ich meinen Gedanken nach. Ein wenig tat er mir schon leid, doch mein Mitgefühl brachte mich auch gegen ihn auf. Er hatte die Anzeige geschaltet, richtig? Nicht ich. Ich hatte lediglich nach seinen Spielregeln gespielt. Und was Johannes betraf, dessen Ahnungslosigkeit wie ein Heiligenschein über ihm hing: Ich hatte in unserer Beziehung immer Interesse an regelmäßigem Sex gehabt. Ich mochte eine kleine Fast-Hausfrau geworden sein und mich mit vielen Dingen beschäftigen, die grundsätzlich alles andere als erotisch waren – aber meine Libido funktionierte recht gut. Was konnte ich dafür, dass er sich nicht für mich interessierte? Hatte ich mich damit abzufinden? Fand ich nicht! Außerdem hatte ich unsere Ehe nicht beenden wollen, ich wollte nur nicht verkümmern. Ich hatte mich um mich selbst gekümmert und damit im Grunde meine Ehe gerettet.
Zugegeben, das nahm ich mir selbst nicht ab. Aber da ich zu wissen glaubte, dass Johannes nach der Entbindung wieder der Alte wäre, wollte ich es wenigstens versucht haben. Jens war eine Art
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