Hirngespenster (German Edition)
die Sache zu kümmern, und wartete den nächsten Tag ab. Meinem Rücken ging es etwas besser, aber nicht gut genug, um selbst mit dem Auto nach Bad Homburg zu fahren – zumal Johannes mich gebeten hatte, längere Fahrten allein so kurz vor der Geburt zu unterlassen. Meine Eltern wollte ich auch nicht beunruhigen. Ich rief also wieder bei Anna an, am Morgen, wenn ich sicher sein konnte, dass Matthias nicht da war.
»Schön, dass du anrufst«, sagte sie, und die Freude klang echt.
»Wie geht es dir?«, fragte ich, eine allumfassende Frage an jemanden, von dem man weiß: Im Grunde genommen geht es beschissen.
»Guut, guut, ehrlich«, sagte sie. »Ich sitze gerade hier und trinke einen Tee.«
Ich atmete erleichtert auf. Im Hintergrund lief der Fernseher. Recht laut sogar. »Ist Luna zu Hause?«, erkundigte ich mich.
»Nein, wie kommst du darauf, keiner ist hier.«
»Wie klappt's denn momentan so? Alles in Ordnung mit Luna? Läuft die Therapie?«
Schweigen. Dann: »Silvie. Es geht mir wieder gut. Letzte Woche, da war ich fertig, ich hab mir Sorgen gemacht und so. Aber jetzt ist alles wieder gut.«
»Und Matthias?«
»Immer fragst du nach Matthias!«
»Naja, beim letzten Mal schien er verdammt sauer auf dich zu sein; ich hoffe, das hat sich wieder gelegt.«
»Es geht uns gut, wirklich. Das mit dem Schreiben der Bank hat sich inzwischen geklärt. Mach dir keine Sorgen.«
Die Lüge kam mir durch die Leitung entgegengekrochen, und ich nahm sie in Empfang wie einen lang ersehnten Gast. Christine Brückner hatte nur den lauten Fernseher gehört. Anna trank Tee. Kein Geschrei mit Luna, Matthias hatte sich wieder beruhigt. Mein Ischias auch.
Hätte ich in diesen Tagen gewusst, was wirklich los war, ich hätte noch zwei Wochen Zeit gehabt, mich um sie zu kümmern, eine Behandlung in die Wege zu leiten, die Heilung versprach. Doch ich kannte mich mit der Psyche nicht aus. Ich wusste nichts über Stimmen im Kopf und Zwangshandlungen oder Depressionen und was es noch so alles gibt. Ich dachte, Anna sei lediglich überlastet wegen der Kinder. Ich dachte nicht an eine Krankheit. Matthias schon. Aber ganz anders.
Neuerdings machen wir Gehversuche, einer nimmt mich links, einer rechts, und los geht's. Es geht noch ein wenig robotermäßig voran, meine Beine sind noch sehr steif, was auch an meiner Körperfülle liegen könnte. Deshalb nennen sie mich wohl »Dicke« oder »Engel«, statt mich bei meinem richtigen Namen zu nennen. Oder sie sagen Schatz. Was komisch ist, wenn man bedenkt, welches Verhältnis Sabina und ich früher hatten. Früher, denn mittlerweile weiß ich ein kleines bisschen zu schätzen, dass sie da ist. Ich meine, sie gibt sich redlich Mühe, alles richtig zu machen. Allein mit dem Essen richtet sie sich ständig nach mir. »Na, Schätzchen, was essen wir heute?«, fragt sie dann. Natürlich ohne eine Antwort zu erwarten; sie weiß ohnehin schon, was ich am liebsten mag: Nudeln. In allen Variationen. Manchmal gibt's danach sogar einen Pudding. Den essen wir dann gemeinsam und lächeln uns zu.
Die Sache mit dem Sprechen scheint sie auf Eis gelegt zu haben, sie konzentriert sich jetzt voll auf die Motorik. Mir soll es recht sein, ich kann auch alleine sprechen üben. Stillstand war mir schon immer ein Greuel.
Jens und ich hörten etwa zwei Wochen nichts voneinander, bis ich ihn mit einer anderen Frau traf. Himmel! Frankfurt ist ein Dorf, jeder kennt jeden. Und auch Jens und ich hatten im Laufe vieler Gespräche festgestellt, dass wir durchaus die gleichen Kneipen frequentierten. Wir hatten sogar zu Anfang unserer Beziehung vereinbart, diese Kneipen künftig zu meiden – für alle Fälle. Nun trafen wir uns ausgerechnet in einer anderen Kneipe in Bornheim, im Ginkgo. Und dies ausgerechnet beim ersten Mal seit Monaten, das Johannes und ich gemeinsam ausgingen.
Seitdem ich mein Verhältnis mit Jens beendet hatte, hatte ich krampfhaft versucht, eine Art Familienleben einzuführen – was mir mehr schlecht als recht gelang. Ständig war Johannes unterwegs und wich meinen Annäherungsversuchen komplett aus. Den Grund dafür kannte ich freilich nicht.
Ich bekam fast einen Schlag bei dem kurzen Blick in Jens Augen, als ich das Lokal betrat. Alles, was ich mir in der vergangenen Woche einzureden versucht hatte, war hinfällig („es war nur eine vorübergehende Affäre; im Grunde ging es nicht um Jens, sondern um die Befriedigung …“), löste sich auf einmal in Luft auf. Johannes steuerte einen Tisch
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